Berlin (dpa) – Stress in den Heimfluren, Probleme mit medizinischer Versorgung, vernachlässigte Bewohner – der Pflegenotstand in Deutschland hat viele Gesichter. Ein neuer Prüfbericht zeigt Mängel und Risiken für Zehntausende Bewohner. Doch durchgängig negativ sei die Lage nicht, hieß es:
Worüber beschweren sich die Betroffenen?
Laut dem neuen Qualitätsbericht der Medizinischen Dienste der Krankenkassen (MDK) beispielsweise darüber, dass ein Bewohner 30 Minuten auf der Toilette auf nötige Hilfe warten musste. Insgesamt sind körperbezogene Pflegemaßnahmen die häufigsten Beschwerdegründe: Die meisten beschwerten sich also wegen mangelnder Hilfe bei Körperpflege, Ernährung, Mobilität, Anziehen oder Ausscheidungen.
Was sind zentrale Probleme in den Heimen?
Von den sechs Prozent der 104 000 überprüften Bewohner, die eine Behandlung chronischer Wunden oder eines Druckgeschwürs brauchen, bekam fast jeder vierte diese nicht ausreichend. Zum Beispiel wurden keine Maßnahmen zur Druckentlastung umgesetzt oder es fehlte an Hygiene. 19 Prozent der Bewohner, die Gefahr liefen, ein Druckgeschwür zu bekommen, bekamen keine Vorbeugung dagegen. Bei fast zwei von fünf Bewohnern sahen es die Prüfer als nötig an, dass ihre Schmerzen genau erkundet und erfasst werden – aber bei rund 18 Prozent davon passierte dies nicht. Bei 8,9 Prozent der Bewohner stellten die Prüfer freiheitsentziehende Mittel wie Bauchgurte fest.
Sind alle Versäumnisse medizinisch riskant?
Die Prüfer guckten sich auch andere Bereiche an. Bei fünf Prozent der Bewohner stellten sie etwa fest, das Fingernägel lange nicht geschnitten wurden oder nur einmal die Woche beim Duschen geholfen wurde. Heime können für die soziale Betreuung zusätzliche Kräfte einstellen – mehr als 12 Prozent taten dies nicht.
Gibt es auch in der ambulanten Pflege Probleme?
Ja. Von fehlerhaften Abrechnungen bis zu hochriskanten Pflegefehlern – etwa nicht richtig durchgeführter künstlicher Beatmung bei jedem vierten Betroffenen. Bei fast 17 Prozent der Patienten, bei denen dafür spezielle Kanülen zum Einsatz kamen, gab es hierbei Probleme.
Wie geht es den Pflegebedürftigen insgesamt?
Fast 71 Prozent der Heimbewohner und mehr als 31 Prozent der ambulant versorgten Betroffenen waren 2016 durch Demenz oder ähnliche Krankheiten eingeschränkt. Drei Jahre zuvor waren es 64 Prozent (ambulant 29,9 Prozent). Der Anteil der Bewohner mit Gewichtsverlust in Heimen stieg von 7,6 auf 8,7 Prozent. 77,5 Prozent brauchten eine Versorgung wegen Inkontinenz.
Wie kommen die Pflegepläne von Union und SPD bei den Kassen an?
Eine neue GroKo würde sich jüngsten Ankündigungen gemäß darum bemühen, dass Pflegekräfte besser und deutschlandweit einheitlicher bezahlt werden. Zunächst soll es 8000 zusätzliche Pflegekräfte für alltägliche Behandlungen wie etwa Medikamentengabe geben, dann soll an vielen Stellschrauben gegen den Mangel an Pflegekräften gedreht werden. «Weil das Problem, das es zu lösen gibt, facettenreich ist, ist es wichtig, dass die Regierung verschiedenste Maßnahmen ergreift», sagte Gernot Kiefer vom Vorstand des Kassen-Spitzenverbands.
Was werfen Kritiker den Kassen vor?
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz spricht von Alarmsignalen. «Es ist entsetzlich, dass der MDK diese Freiheitsberaubungen und schwerste Pflegemängel nicht zur Anzeige bringt», sagt Vorstand Eugen Brysch.
Antrag bei der Pflegekasse schnell stellen
Wird jemand pflegebedürftig, beteiligt sich die Pflegekasse an den Kosten für die Pflege. Dafür muss der Antrag bei der Kasse aber möglichst früh gestellt werden, erläutert die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen in ihrem Ratgeber «Pflegefall – was tun?».
Entscheidend für den Leistungsbeginn ist der Zeitpunkt der Antragstellung und nicht, ab wann der Betroffene tatsächlich Hilfe brauchte. Wartet jemand mit dem Antrag mehr als einen Monat – weil er zum Beispiel hofft, dass es ihm bald besser geht – entgeht ihm das Pflegegeld für den ersten Monat der Pflegebedürftigkeit.
Ein Beispiel: Stellt jemand am 20. Dezember einen Antrag auf Pflegeleistungen, kann er rückwirkend ab dem 1. Dezember Leistungen bekommen. Ob die Pflegebedürftigkeit schon im Juli bestand, ist unerheblich, erläutern die Verbraucherzentralen im Internet.
Zunächst schickt der Pflegebedürftige ein formloses Schreiben an seine Pflegekasse oder ruft dort an. Die Pflegekasse gehört immer zur jeweiligen Krankenkasse. Er bekommt dann ein Antragsformular, das auch ein Angehöriger ausfüllen darf. Unterschreiben muss der Pflegebedürftige allerdings eigenhändig. Wer sich nicht selbst kümmern kann oder möchte, kann eine Vertrauensperson dazu bevollmächtigen, die Abwicklung mit der Pflegekasse zu übernehmen.
(dpa)