Krefeld – Magische Dinge, mächtige Figuren und das Mittelalter faszinieren Britta Sarbok-Heyer schon lange. Über Fantasy-Rollenspiele kam die heute 53-Jährige aus Nordrhein-Westfalen zu Online-Videospielen – und die wurden bald zur Sucht.
12 bis 16 Stunden am Tag saß die arbeitslose Kinderintensiv-Krankenschwester mit Anfang 40 am Computer, vernachlässigte ihre beiden Kinder, ihren Mann – und sich selbst. «Ich wollte die Prinzessin von Alsius sein, diese magische Frau, die so viel Macht hat», erinnert sich Sarbok-Heyer. «In diesen Spielen kann man total einfach ein Held sein.»
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat
Videospielsucht Mitte Juni als Krankheit anerkannt. Was ändert das für die Betroffenen? «Du bist nicht mehr nur so ein Suchti, sondern Du bist suchtkrank», sagt Sarbok-Heyer. «Das hat eine andere Qualität, das hört sich anders an, und das fühlt sich auch anders an.» Suchttherapeuten bekämen jetzt Kriterien und Mittel an die Hand, um Betroffenen zu helfen.
Suchttherapeut Christian Groß vom
Fachverband Medienabhängigkeitsagt: «Das Wichtigste ist, die betroffenen Patienten haben jetzt einen Anspruch auf Behandlung.» Zudem werde in die Prävention künftig Geld fließen – aus der Jugendhilfe, von den Kommunen und aus Bundesmitteln. Dazu gehöre auch die Medienkompetenzerziehung an Schulen.
Die stationäre Behandlung sei seit 2003 schon ganz gut geregelt, sagt Ilona Füchtenschnieder-Petry von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. Die ambulante Behandlung werde jetzt aber sicherlich ausgebaut.
Sarbok-Heyer wusste sich nach rund drei Jahren nicht mehr zu helfen und versuchte, sich das Leben zu nehmen. Danach kam die Wende. Weil bei ihr noch viel zu viel Alkohol zur Online-Spielsucht hinzukam, wurde sie in einer Entzugsklinik aufgenommen. «Da wusste keiner so richtig, wie man mit der Onlinesucht umgeht», erinnert sie sich. Die Therapie von Videospielsucht steckte 2009/10 noch in den Kinderschuhen. «Ich habe schnell gemerkt, ohne Alkohol ist es relativ leicht für mich zu leben, ohne Spiele aber nicht.»
Zwei Jahre war Sarbok-Heyer von zu Hause weg und in Behandlung: in Kliniken, bei Psychiatern und Therapeuten. «Genauso lange wie man gebraucht hat, um runter zu kommen, braucht man mindestens auch, um wieder hoch zu kommen», sagt Sarbok-Heyer. «Ich hatte auch einen Rückfall.»
Nach Einschätzung des Fachverbands Medienabhängigkeit sind 0,5 bis ein Prozent der gesamten Bevölkerung abhängig von Online-Spielen. Vor allem Jungen und Männer seien betroffen. Besonders gefährdet sei die Altersgruppe der 12- bis 20-Jährigen.
Sarbok-Heyer ließ sich nach ihren Therapien zur ehrenamtlichen Suchtkrankenhelferin ausbilden. Sie kehrte zurück zu ihrer Familie und arbeitet wieder in ihrem Beruf als Kinderintensivschwester. «Ich wollte wieder am Leben teilhaben und Teil der Gesellschaft sein.»
Damit sie Zeit für die Leitung ihrer Selbsthilfegruppe für Onlinesucht und Medienabhängigkeit in Krefeld hat, arbeitet sie in Teilzeit. «Ich möchte Vorbild sein.» Auch deshalb wagt sie sich nach einer langen Leidensgeschichte und schmerzhaften Stigmatisierungserfahrungen an die Öffentlichkeit.
Der Fachverband Medienabhängigkeit fordert – wie bei Tabak, Alkohol und Spielhallen – gesetzliche Altersbeschränkungen für Videospiele. «Der Staat hat jetzt eine Fürsorgepflicht», betont Groß. Zumindest Spiele wie «World of Warcraft», die Studien zufolge starke Suchtmechanismen hätten, müssten eine gesetzliche Altersfreigabe bekommen. Derzeit gebe es aber nur die freiwillige Selbstkontrolle.
«Wenn eine Verkäuferin einem Zwölfjährigen ein Spiel ab 18 verkauft, macht sie sich nicht strafbar.» Und: Die neue Bundesregierung habe im Koalitionsvertrag festgehalten, E-Sportvereine zu fördern. Damit Kinder und Jugendliche in solchen Vereinen auch fachkundig an die Spiele herangeführt würden, seien medienkompetente Leute notwendig.
Für
Sarbok-Heyer sind Online-Spiele inzwischen tabu – der Computer aber nicht. Magie und Fantasy musste sie nicht aus ihrem Leben verbannen. «Ich habe mir mit 50 einen Traum erfüllt und mache Handarbeiten, nähe Filz-Puschen und Kostüme, und beschäftige mich in dieser Welt weiter mit magischen Dingen.»
(dpa)