Schulerfolg hängt oft vom Geldbeutel ab

Berlin – Um schnittige Slogans sind Nachhilfeanbieter wie «Paukwerk», «Überflieger» oder «Besserwisser» selten verlegen.

«5 weg oder Geld zurück!», so wirbt beispielsweise die Firma «Schülerhilfe», die nach eigenen Angaben an etwa 1100 Standorten in Deutschland und Österreich jährlich über 100 000 Jugendlichen auf die Sprünge hilft. Im wachsenden Markt für außerschulische Förderung ist Bescheidenheit fehl am Platze – immerhin gibt es in der «Bildungsrepublik» mit Noten-Tuning viel Geld zu verdienen, und die Konkurrenz ist groß.

So stellt die gewerkschaftsnahe
Hans-Böckler-Stiftung in einer neuen Studie fest: «Mit kommerzieller Nachhilfe werden in Deutschland Milliarden umgesetzt.» Das Comeback des Privatunterrichts wurde demnach «zuletzt befeuert durch den sogenannten PISA-Schock», der die Schwächen deutscher Schüler vor 15 Jahren drastisch offenlegte und viele Eltern alarmierte.

Nach einer Untersuchung der
Bertelsmann-Stiftung aus dem Vorjahr erhalten in Deutschland 1,2 Millionen Schüler Nachhilfe. Die Bildungsforscher um Prof. Klaus Klemm errechneten nach Befragung von etwa 4300 Müttern und Vätern, dass die Eltern 879 Millionen Euro in private Nachhilfestunden für ihre Kinder stecken – pro Jahr. Dieser Boom sei «eigentlich eine Bankrotterklärung für die Schule», sagt der Dortmunder Bildungsforscher Prof. Wilfried Bos.

Eine offizielle Nachhilfestatistik gibt es zwar nicht, räumen die Verfasser des Böckler-Reports «Außerschulische Nachhilfe» jetzt ein. «Sicher ist dennoch: Seit den 1970-er Jahren hat die Zahl zugenommen. Je nach Studie und Art der Abgrenzung schwanken die aktuellen Angaben zwischen 6 und 27 Prozent aller Schüler.» Bei den in der Pubertät oft besonders lernunwilligen 15-Jährigen sei Nachhilfe am häufigsten – hier nehmen fast drei von zehn Schülern Privatförderung in Anspruch.

Als Gründe für diese Entwicklung nennen die Forscher der Universität Duisburg-Essen um die Professoren Klaus Birkelbach und Rolf Dobischat eine zunehmende Unzufriedenheit mit dem öffentlichen Schulsystem, höheren Leistungsdruck im Unterricht und gestiegenen Ehrgeiz der Eltern. «Es sind längst nicht mehr nur die Versetzungsgefährdeten, die zur Nachhilfe angemeldet werden, sondern immer häufiger Dreier-Kandidaten.» Die Sitzenbleiber-Quote in Deutschland ist laut Studie «Chancenspiegel 2017» mit 2,7 Prozent in der Tat eher niedrig.

Ein weiterer Befund der Böckler-Studie: Kinder aus höheren sozialen Schichten erhalten die meiste Nachhilfe, weil ihre Eltern «häufig von Abstiegsängsten geplagt sind, die sie auf ihren Nachwuchs projizieren». Die Befragung von fast 400 Nachhilfeinstituten ergab: Etwa sechs von zehn Schülern (62 Prozent) stammen nach Einschätzung der Anbieter aus der «mittleren Mittelschicht», 26 Prozent aus der «oberen Mittelschicht», zwei Prozent aus der Oberschicht.

Kinder der «unteren Mittelschicht» (9 Prozent) und der Unterschicht (ein Prozent) waren demnach klar unterrepräsentiert, und besonders Migranten kommen bei der Nachhilfe zu kurz. Die Verfasser der neuen Studie sprechen daher von «unbefriedigenden sozialen Konsequenzen der „Parallelwelt Nachhilfe“», die es zu korrigieren gelte. Letztlich müsse gute Bildung aus einer «privatwirtschaftlichen Umklammerung» gelöst werden, um Hilfe beim Schulerfolg «nicht in erster Linie von Ehrgeiz und Geldbeutel der Eltern» abhängig zu machen.

Laut Bertelsmann-Stiftung (2016) bekommen in Ostdeutschland 16 Prozent und in Westdeutschland 13 Prozent der Schüler Nachhilfe. Weit verbreitet sei diese Art Unterstützung an Gymnasien: Dort habe jeder fünfte Schüler Zusatzunterricht – am häufigsten in Mathe.

«Bildungschancen dürfen nicht von privat finanzierter Nachhilfe abhängen. Ganztagsschulen bieten einen guten Rahmen für zusätzliche und individuelle Förderung», betont Bertelsmann-Stiftungsvorstand Jörg Dräger. Bildungsforscher Bos von der Technischen Universität Dortmund pflichtet ihm bei: «In gut gemachten Ganztagsschulen, in denen nachmittags auch wirklich Lehrer sind, ist Nachhilfe (…) gar nicht in diesem hohen Maße notwendig.»

Auch Bos befürchtet, dass der Geschäftszweig «auf jeden Fall die soziale Ungleichheit verstärken kann, weil Eltern mit niedrigem Einkommen Nachhilfe schwerer bezahlen können». Oft werde mit der Privatförderung «besonders vor dem Abitur nachgeholfen, um die für das Studienfach Medizin so wichtige 1 vor dem Komma zu erreichen». Aus der von Bos mitverfassten TIMSS-Studie 2016 geht hervor, «dass es schon beim Übergang von der Grundschule zu Verzerrungen kommt. Da werden Kinder gedrillt, um in den wichtigen Fächern mindestens eine 2 zu bekommen, damit sie die wichtige Gymnasialempfehlung kriegen.»

Die Qualität der selbstbewusst für sich werbenden Institute ist nach Einschätzung des Wissenschaftlers sehr unterschiedlich. «Kommerzielle Nachhilfe ist ein großer Flickenteppich – da findet man alles von ausgebildeten Pädagogen über pensionierte Lehrer bis zu Studenten. Aber es gibt auch Institute, die nachweislich ihre Nachhilfeschüler innerhalb von neun Monaten um eine ganze Note verbessern. Die machen zumindest einen guten Job – obwohl der eigentlich ja überflüssig sein sollte», sagt Bos.


(dpa)

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