Berlin – Wenn am Sonntag die Sommerzeit beginnt, freuen sich viele über die «längeren» Tage. Der Preis für das zusätzliche Tageslicht in den Abendstunden muss aber am Morgen in gleicher Münze gezahlt werden – es wird später hell.
Seit 1996 werden in der Europäischen Union im März und Oktober die Uhren umgestellt. In Deutschland gibt es die Sommerzeit schon seit 1980.
Ursprünglich sollte dank einer besseren Ausnutzung des Tageslichts Energie gespart werden. Das EU-Parlament plädiert für eine Abschaffung der Zeitumstellung im Jahr 2021: Auf diese Position einigten sich die Abgeordneten am Dienstag in Straßburg. Für die tatsächliche Abschaffung müsste allerdings noch ein Kompromiss mit den Mitgliedstaaten erzielt werden. Argumente für oder gegen die Zeitumstellung gibt es viele. Welche stimmen?
Behauptung: Die Sommerzeit hilft dabei, Energie zu sparen.
Bewertung: Weitgehend falsch
Fakten: Es gibt keinen Nachweis, dass in relevantem Maß Energie gespart würde. Das Umweltbundesamt etwa argumentiert: «Zwar wird durch die Zeitumstellung im Sommer tatsächlich abends weniger häufig das Licht angeknipst – im Frühjahr und Herbst jedoch wird in den Morgenstunden auch mehr geheizt. Das hebt sich gegenseitig auf.»
Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag kommt zu dem Schluss, dass sich «bestenfalls nur sehr geringfügige Energieeinsparungen realisieren lassen». Eine Auswertung von Studien aus verschiedenen Ländern habe 2016 mögliche Veränderungen in den Bereichen Stromverbrauch und Raumwärme von nicht mehr als einem Prozent ergeben. Auch eine Befragung bei rund 700 Unternehmen und Verbänden der deutschen Energiewirtschaft ergab kein anderes Ergebnis.
Die Wirtschaftswissenschaftler Korbinian von Blanckenburg und Julian Strauch haben anhand einer Analyse der Daten zweier Netzbetreiber in Kassel und Kempten errechnet, dass das derzeit geltende System der Zeitumstellung nur zu einer Einsparung von 0,78 Prozent beim Stromverbrauch privater Haushalte führt.
Behauptung: Das bisherige Hin und Her schadet der Gesundheit, weil unsere Innere Uhr jedes Mal durcheinandergerät.
Bewertung: Teils richtig
Fakten: Es gibt wissenschaftliche Anhaltspunkte dafür, dass die Anpassung des Biorhythmus besonders im Frühjahr nicht so einfach ist. Die Krankenkasse
DAK etwa hat in einer Langzeitbeobachtung festgestellt, dass in den ersten drei Tagen nach der Zeitumstellung 25 Prozent mehr Patienten mit Herzbeschwerden ins Krankenhaus kamen als im Jahresdurchschnitt.
Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages zitierten 2014 Studien aus Schweden und den USA, die ein leicht erhöhtes Infarktrisiko nach der Zeitumstellung im Frühjahr belegten. Eine australische Studie zeigte einen Zusammenhang zwischen Zeitumstellung und Suizidrate: Auch kleine Veränderungen im Biorhythmus könnten demnach bei gefährdeten Menschen destabilisierend wirken.
In einer repräsentativen
Forsa-Umfrage im Auftrag der DAK (2018) wiederum gaben 72 Prozent der Befragten an, sie können sich nicht erinnern, dass ihnen die Zeitumstellung schon einmal Probleme bereitet hätte.
Behauptung: Von einer dauerhaften Sommerzeit wären Schüler und Studenten besonders hart betroffen.
Bewertung: Richtig
Fakten: Nach Umstellung auf die permanente Sommerzeit würde es im Winter morgens eine Stunde später hell. Mediziner weisen darauf hin, dass Menschen das blaue Licht der Sonnenstrahlung brauchen, um wach zu werden. Alfred Wiater, der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM), sagte dazu dem
Deutschen Ärzteblatt, die Serotoninausschüttung werde durch Licht stimuliert – «so werden wir morgens wach und munter».
Der Münchner Chronobiologe Till Roenneberg sieht besonders viele Teenager betroffen. Ihr typischer Biorhythmus verschiebe ihre Innere Uhr und mache sie zu Langschläfern. Schon der Schulstart um 08.00 Uhr morgens sei für sie vergleichbar mit einem Arbeitsbeginn um 04.00 Uhr bei Erwachsenen. «Das sollen sich einfach mal Erwachsene vor Augen führen, (…) wie aufmerksam sie dann sind und wie gut sie dann lernen können», so Roenneberg in einem Podcast seiner Universität. Die Zeitumstellung verschärfe dieses Problem noch: «Die Diskrepanz zwischen dem, was die Innere Uhr leben möchte, und dem, was wir leben müssen, (…) wird um eine Stunde noch vergrößert – mit allen Konsequenzen: Schlafmangel, mehr rauchen, mehr unter Stress stehen usw.»
Auch der
Deutsche Lehrerverband hält eine dauerhafte Umstellung auf Sommerzeit für unverantwortlich. Eine solche Regelung würde nach Aussage von Verbandschef Heinz-Peter Meidinger dazu führen, «dass über zehn Millionen Schülerinnen und Schüler in Deutschland zwei Monate länger bei absoluter Dunkelheit ihren morgendlichen Schulweg antreten müssten, was nicht zuletzt auch die Unfallhäufigkeit in die Höhe treiben würde».
Behauptung: Eine dauerhafte Winterzeit kommt den natürlichen Verhältnissen am nächsten.
Bewertung: Stimmt mit Einschränkungen
Fakten: «Natürlich» wäre es, wenn die Sonne punkt 12 Uhr mittags ihren Zenit erreichen würde – das entspricht der «Sonnenzeit». So ist es beispielsweise im Winter in Görlitz, am östlichsten Zipfel Deutschlands. Die Stadt liegt genau auf dem 15. Längengrad, sie ist deshalb idealtypisch für die Berechnung der «Normalzeit» – der Mitteleuropäischen Zeit MEZ – in Deutschland. Schon in Hamburg oder Dortmund stimmen Sonnen- und Uhrzeit aber nicht mehr überein, weil sie deutlich westlicher liegen.
Die
Zeitzonen orientieren sich an der Koordinierten Weltzeit (UTC). Dafür wird der Erdball, ausgehend vom Nullmeridian in Greenwich bei London, gedanklich in 24 Zonen mit einer Breite von je 15 Längengraden eingeteilt. Von einer dieser Zonen zur nächsten beträgt der Zeitunterschied jeweils eine Stunde.
In der Realität werden die Umrisse der Zeitzonen von politischen Grenzen und geografischen Gegebenheiten verzerrt. MEZ etwa gilt in Europa von der Atlantikküste bis an die polnische Ostgrenze. Das führt dazu, dass die Sonne in Spanien den höchsten Stand erst gegen 13 Uhr erreicht, in Polen schon gegen 11 Uhr. Den «natürlichen» Verhältnissen entspricht die dauerhafte Winterzeit also nur in einem kleinen Teil Europas.
(dpa)