Stuttgart – Lichtschutzfaktor 50, ordentlich Sonnencreme schützt ja vor Hautkrebs – gerade in diesem Supersommer mit Sonne satt seit April. «Ein Irrglaube», warnt der Tübinger Hautkrebsexperte Claus Garbe.
Es sei nicht so, dass die Haut durch Sonnenschutzmittel komplett vor Hautkrebs geschützt werden könne. «Vor Sonnenbrand ja, vor Hautkrebs nicht.» Schon sehr niedrige Dosen UV-Strahlung verursachten Veränderungen des Erbguts in der Haut, die das Krebsrisiko vergrößern können. «Sobald die Haut braun wird, sind schon Mutationen ausgelöst.»
Garbe, Mediziner an der Eberhard Karls Universität Tübingen, ist Tagungspräsident des
Deutschen Hautkrebskongresses, der am Donnerstag (13. September) in Stuttgart beginnt. Der Professor berichtet vom «überraschenden Resultat» einer Studie mit rund 1800 Kindergartenkindern, nach der Sonnenschutzmittel keinen Effekt auf die Entwicklung von Hautmutationen hatten. Schutz durch Kleidung dagegen habe einen deutlichen Unterschied ausgemacht.
Solange die Menschen das ausgiebige Sonnenbaden nicht sein ließen, solange braun sein «in» sei, stiegen die Hautkrebsraten wohl weiter, sagt der Mediziner, und das ungebremst. Bis 2030 werde eine Verdoppelung bei der Zahl der Neuerkrankungen erwartet. Dann gibt es in Deutschland so viele neue Fälle von Hautkrebs im Jahr wie bei allen anderen Krebsarten zusammen, wie Garbe sagt. Er sieht ein Plateau frühestens 2050.
Gab es in den 50er Jahren nur einen Fall des besonders tückischen schwarzen Hautkrebses (malignes Melanom) in
Deutschland auf 100.000 Menschen pro Jahr, waren es in den 90er Jahren bereits 8 Fälle und im Jahr 2010 rund 25. Für das Jahr 2030 werden Garbe zufolge 45 Fälle prognostiziert.
Menschen, die heute an Hautkrebs erkranken, hätten vor etwa 20, 30 Jahren zu viel Sonne bekommen, erklärt der Mediziner. Experten sehen in den derzeit ungebremst steigenden Fallzahlen die späten Folgen UV-bedingter Hautschäden in Kindheit und Jugend sowie nach freizeit- und berufsbedingter, langjähriger Sonneneinstrahlung. Je intensiver und anhaltender die Haut der UV-Strahlung (ultravioletten Strahlung) ausgesetzt war, desto höher ist das Krebsrisiko.
Dass man vor allem Kinder schützen und eincremen soll, wüssten eigentlich alle, ist der Berliner Kinderarzt Herbert Grundhewer überzeugt. Nur werde dieses Wissen leider sehr unterschiedlich angewandt. Dabei sei es so einfach: Je länger UV-Strahlen die Haut treffen, desto höher ist sofort das Risiko. Vor allem kleine Kinder mit ihrer noch dünnen Haut seien bedroht. Viele Kitas hätten reagiert und ließen die Kinder nur noch unter Sonnensegeln im Sand spielen.
Grundhewer warnt davor, Hitze mit UV-Strahlung zu verwechseln. Man sehe und spüre die tückische Strahlung nicht. Natürlich sollten Kinder raus in die Natur – aber eben nur geschützt, mit Creme und Klamotten. Vor allem zwischen 11 und 15 Uhr. Auch seien Reisen in Sonnenländer kritisch, wo kaum Zeit sei, sich auf die plötzliche Belastung einzustellen. «Das ist besonderer Stress für die Haut.»
Vor allem beim gefährlicheren schwarzen Hautkrebs gehen Experten davon aus, dass er durch akute UV-Überbelastung vor allem im Kindesalter bedingt ist. Der weiße Hautkrebs hingegen betrifft vor allem Langzeiturlauber, aber auch Bauarbeiter oder Dachdecker, die lange der Sonne ausgesetzt sind. Auch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung meldet deutlich steigende Zahlen der bestätigten Berufskrankheit Hautkrebs.
Deutschlandweit erkranken derzeit jährlich mehr als 240.000 Menschen neu an Hautkrebs, wie Garbe sagt. Die Zahl der Fälle von schwarzem Hautkrebs wurden beim
Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin zuletzt mit mehr als 21.000 im Jahr angegeben. Frauen erkranken demnach im Mittel mit 60 Jahren, Männer sieben Jahre später.
Gefährlich an diesem Sommer sei vor allem der plötzliche und frühe Start gewesen, erklärt Ralph von Kiedrowski vom Vorstand des Berufsverbands der Deutschen Dermatologen (BVDD). «Es war kein langsames Vorbräunen, keine Gewöhnung der Haut möglich.» Zwar mache ein Sonnenbrand allein noch keinen Hautkrebs. «Aber die Haut addiert auf.» Im Laufe des Lebens wachse der aufsummierte Schaden – und die Wahrscheinlichkeit für Hautkrebs steige. Nur ein Teil der Bevölkerung sei bisher ausreichend für die Gefahren sensibilisiert. «Nur 35 Prozent derjenigen, die eine Hautkrebs-Früherkennung in Anspruch nehmen könnten, tun das auch», so der Hautarzt aus dem Westerwald.
(dpa)