Kinder leiden unter Psycho-Terror

Berlin – Dass Experten in ihr ein Opfer häuslicher Gewalt sehen würden, ahnt Britta Schulte lange nicht. In ihrer Ehe werden Konflikte schließlich nicht mit Fäusten ausgetragen.

Jahre später allerdings hat sie erkannt, was sich auf psychischer Ebene abspielte: «Mich klein machen, verunsichern, anschreien, selbst in die Opferrolle schlüpfen, harmlos daherkommen …» – ihr Ex-Mann habe viele Tricks gehabt, um sich in die Rolle des Stärkeren zu versetzen, sagt die Mittdreißigerin aus Berlin. «Er hatte eine ziemliche Macht.»

Psychische Gewalt in Familien

Die psychische Gewalt gegen die Mutter geht an der gemeinsamen Tochter Luisa (Namen von Tochter und Mutter geändert) nicht spurlos vorbei. Der heutige Teenager habe von klein auf viel Streit zwischen einer überspannten Mutter und einem oft abwesenden Vater mitbekommen, bilanziert Schulte rund zehn Jahre nach der Trennung. «Auf Kinder hat psychische Gewalt wesentlich stärkere Auswirkungen als man früher glaubte. Sie werden Zeugen und dadurch zu Mitbetroffenen», sagt Sabine Bresche vom Kinderschutzbund in Berlin, die Schulte jahrelang beriet. Kindliche Grundbedürfnisse nach Liebe, Geborgenheit und Schutz könnten in solchen Fällen unerfüllt bleiben.

«Ich war immer unter Nervenstress», sagt Schulte. Sie möchte anonym bleiben und dennoch vor dem Tag der gewaltfreien Erziehung am 30. April auf das verbreitete Phänomen psychischer Gewalt hinweisen. Denn zum Recht von Kindern auf gewaltfreie Erziehung heißt es im Gesetz ausdrücklich, «seelische Verletzungen» seien unzulässig, genau wie körperliche Bestrafungen.

Psychische Gewalt äußere sich etwa mit systematischen Herabwürdigungen, Schuldzuweisungen oder Unterstellungen und werde oft spät oder gar nicht erkannt, sagt Bresche.

Beratung durch den Kinderschutzbund

Schulte sei vom Ex-Partner so stark verunsichert worden, dass sie an ihren eigenen Wahrnehmungen zweifelte, sagt Bresche. In der Beratung sei es zunächst darum gegangen, der Frau die Augen zu öffnen, dass sie es mit einer Form häuslicher Gewalt zu tun habe. Schulte hatte sich an den
Kinderschutzbund gewandt, weil mit zunehmendem Alter Luisas kritische Vorfälle während der Zeit beim Vater ans Tageslicht kamen. Darunter Abende, an denen er die damals noch kleine Luisa allein in der Wohnung zurückließ, etwa um sich mit Freunden zu treffen. Das bis heute starke Heimweh Luisas beispielsweise auf Klassenfahrten hängt in den Augen der Mutter mit solchen Erfahrungen zusammen.

Schuldeingeständnisse des Vaters habe es nie gegeben, sagt Schulte. «Ich habe ihn manchmal mit Teflon verglichen. Es perlte scheinbar alles an ihm ab.» Stattdessen habe er nach der Trennung E-Mail-Salven mit subtilen Drohungen und unangemessenen Forderungen nach Treffen abgefeuert. Es gab eine Zeit, da bangte paradoxerweise Schulte um ihr Sorgerecht: «Das dominierende Gefühl war: Ich muss klarer werden, ich muss besser werden, ich muss mich mehr anstrengen, ich muss mehr Geduld haben, der arme Mann.» Nie habe sie ihrer Tochter den Vater nehmen wollen.

Die Erfahrungen sprudeln nur so aus Schulte heraus, sie gestikuliert viel und imitiert immer wieder die piepsige, unterwürfige Stimme, die sie ihrem damaligen Partner gegenüber an den Tag gelegt habe. In den Beratungsgesprächen, teils auch mit dem Ex-Mann, gelang es nach und nach, für klare Verhältnisse zwischen den einstigen Eheleuten zu sorgen und den Kontakt von Vater und Tochter einvernehmlich auf wenige Termine im Jahr einzuschränken, wie Bresche und Schulte schildern. Weil Eingreifen bei psychischer Gewalt sehr schwer sei, gehe es selten so aus, sagt Bresche. Oft endeten solche Fälle vor Familiengerichten, wo die häusliche Gewalt oft nicht benannt werde.

Entwicklungsstörungen als Folge bei Kindern

Macht das Trennungs- oder Scheidungskinder automatisch zu Opfern psychischer Gewalt? «Es ist bei Kindern sehr individuell, was als Gewalt erlebt wird», sagt Janina Klein von der
Opferhilfe Berlin. Zu den Folgen psychischer Gewalt bei Kindern zählten zum Beispiel Rückschritte in der Entwicklung wie Einnässen, Aggression, Schlafstörungen, Rückzug oder Loyalitätskonflikte. Damit die Betroffenen Zugang zum Hilfesystem bekommen, sei es wichtig, die Anzeichen in Kitas, Schulen oder Sportvereinen zu erkennen und nicht zu tabuisieren. «Es gibt das Phänomen, dass das Problem oft lange Jahre nicht bemerkt wird», sagt Klein.

Für Schulte ist nach langer Aufarbeitung vieles klarer. Sie glaubt, dass die eigene Kindheit mit einem psychisch kranken Vater ihr Verhalten in der Ehe prägte. «Ich hatte im Kopf, dass man Erwachsenen nichts zumuten darf, dass sie nicht verlässlich und emotional stabil sind. Männer erst recht nicht», sagt sie.

Und Luisa? Das Mädchen sei früher sehr angespannt und kein «Kuschelkind» gewesen, sagt Schulte. «Sie spürte den Konflikt, warf sich auch mal auf den Boden und schrie.» Insgesamt aber hat Schulte nicht den Eindruck, dass ihre Tochter bleibenden Schaden davongetragen hat. Daran, dass die Jugendliche auch das Heimweh bewältigen wird, glaubt sie fest. Die Mutter appelliert an andere Betroffene, sich Hilfe zu holen: «Wenn man gebildet ist, denkt man, alles allein schaffen zu müssen», sagt sie. «Aber das ist nicht so.»


(dpa)

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