Köln – Ein riesiger Dinosaurierkopf füllt das ganze Blickfeld. Gelassen bis neugierig starrt das Biest herüber. «Ein Pflanzenfresser», sagt ein in der Szene schwebender Roboterball beruhigend. Na dann ist ja gut.
Wenn die tonnenschwere Echse nur nicht ausgerechnet ihren Kopf mitten im Weg abgelegt hätte. «Du musst sie ablenken», ruft Fatih Özbayram durch den Urwaldsound und das Schnauben des Sauriers herüber. Also schnell mit der Hand einen moosbewachsenen Karton gegriffen und auf eine große Frucht geworfen, und erfreut macht sich der Saurier über das Fallobst her. Der Weg ist frei.
Fatih Özbayram ist Producer beim Frankfurter Spieleentwickler Crytek. Er und seine Kollegen haben die dichten Wälder von «Robinson: The Journey» und ihre prähistorischen Bewohner erschaffen, die sie nun auf der Gamescom in Köln (Besuchertage 18. bis 21. August) präsentieren. Nur wenige Sekunden nach dem Aufsetzen des Playstation-VR-Headsets ist man in der virtuellen Welt angekommen. Alles wirkt auf eine leicht unechte Art real. Man steuert den zwölfjährigen Robin nicht nur durch den von Dinosauriern bewohnten Dschungel eines unbekannten Planeten. Man ist quasi Robin, kann Gegenstände in die Hand nehmen, an Lianen hochklettern oder die atemberaubende Aussicht auf ein Flusstal genießen.
Die virtuelle Realität (VR) ist seit rund vier Jahren das große Thema in der Videospielszene – nun ist sie wirklich angekommen. Die VR-Brillen Oculus Rift und HTC Vive sind bereits verfügbar, wenn alles gut geht, kommt Anfang Oktober Sonys Playstation VR hinzu. Auf der Videospielemesse Gamescom (Publikumstage 18. bis 21. August) gibt es in diesem Jahr neben den Abenteuern des jungen Robin noch zahlreiche weitere nahezu fertige VR-Titel zu sehen.
Etwa beim französischen Publisher Ubisoft. Hier verwandelt sich die kleine Sperrholzkabine des Messestands nach Aufsetzen der VR-Brille in die Brücke eines Raumschiffs aus dem Star-Trek-Universum. Drei Spieler werden zum Steuermann, zum Waffenoffizier und zum Schiffsingenieur des schnittigen Föderationsraumschiffs. Unter klingonischem Dauerfeuer muss ein Trümmerfeld im All nach Überlebenden in Rettungskapseln durchsucht werden. Der Ingenieur beamt sie an Bord, der Waffenoffizier hält Gegner auf Distanz, der Steuermann fliegt das Schiff in Sicherheit.
Neben einem deutlich intensiveren Spielerlebnis bietet die virtuelle Realität auch völlig neue Spielkonzepte. Bei Ubisofts «Star Trek Bridge Crew» geht alles um Kooperation in der VR. «Der Fokus liegt nicht so sehr auf der Action», sagt Entwickler Justin Achilli. Die Spieler sitzen auf einem Drehstuhl und müssen ihre Aktionen untereinander absprechen. Social-VR nennt Achilli das. Wenn «Star Trek Bridge Crew» Ende November erscheint, wird es jeder per Internet mit anderen spielen können. Egal wo ein Mitspieler sitzt: Im Spiel dreht man den Kopf und sieht ihn.
Doch die neue Technik stellt die Entwickler vor Herausforderungen. «In einem VR-Spiel weißt du nie, wo dein Spieler gerade hinsieht», sagt Achilli. Deswegen setzt man optische Orientierungshilfen. In «Star Trek Bridge Crew» ist das etwa der große Bildschirm auf den alle schauen oder die Bedienkonsole der eigenen Arbeitsstation. Damit niemand im Dschungel von «Robinson: The Journey» verloren geht, sind wichtige Objekte und Gegenstände orange markiert. «Dann weiß man, dass man mit ihnen interagieren kann», erklärt Fatih Özbayram. Mit 3D-Sound wird die Blickrichtung sanft gelenkt – etwa wenn plötzlich ein Raubsaurierschrei von rechts aus dem Unterholz ertönt.
Alle drei verfügbaren VR-Brillen machen auf der Gamescom einen ausgereiften Eindruck. Auch die von vielen gefürchtete Motion Sickness, also Übelkeit beim VR-Spielen, tritt kaum noch auf. «Das mussten die Entwickler erst lernen», sagt Maximilian Schenk vom Games-Branchenverband BIU. «Eindrücke aus virtueller und wirklicher Welt müssen viel sensibler in Einklang gebracht werden.» Auch der technische Fortschritt mit schnelleren Displays wirkt der Übelkeit entgegen.
Schöne neue Welten also und goldene Zeiten für Branche und Gamer? Nicht ganz. Ein Einstiegshindernis bleibt der Preis. Neben einem flotten PC der 1000-Euro-Klasse aufwärts braucht es auch eine der 700 bis 800 Euro teuren VR-Brillen. Sonys Playstation VR soll um die 400 Euro kosten – zusätzlich zum Preis für die Konsole und einen Fernseher. Laut einer Umfrage des IT-Branchenverbandes Bitkom planen bislang rund 20 Prozent der Videospieler die Anschaffung einer VR-Brille. Trotzdem ist BIU-Chef Maximilian Schenk optimistisch. «VR ist eine unglaublich vielversprechende Plattform», sagt er. «Die Spiele halten, was sie versprechen.»
(dpa/tmn)