Berlin – Mesut Özils Zukunft in der Nationalmannschaft ist durch das Nachtreten von Oliver Bierhoff ungewisser denn je.
Die heiklen Interview-Aussagen des DFB-Direktors, mit denen er die WM-Nominierung des Fußball-Weltmeisters nachträglich infrage stellt, befeuern die vergiftete Debatte um die Konsequenzen aus der Erdogan-Affäre aufs Neue. Für den wegen der Fotos mit dem türkischen Präsidenten heftig kritisierten Özil scheint ein Neuanfang in der Nationalelf höchst fraglich. Aber auch Manager Bierhoff sieht sich nach dem nächsten Kapitel verunglückter Krisenkommunikation erneut mit unbequemen Fragen nach seiner Rolle konfrontiert.
Bierhoffs Sätze in einem langen Gespräch mit der Zeitung «Die Welt» lesen sich für nicht wenige so, als sei bei Özil zumindest ein Teil der Schuld für das WM-Debakel des deutschen Teams zu suchen. «Wir haben Spieler bei der deutschen Nationalmannschaft bislang noch nie zu etwas gezwungen, sondern immer versucht, sie für eine Sache zu überzeugen. Das ist uns bei Mesut nicht gelungen. Und insofern hätte man überlegen müssen, ob man sportlich auf ihn verzichtet», sagt Bierhoff.
Doch was meint der 50-Jährige damit? Unstrittig ist, dass Özils anhaltendes öffentliches Schweigen den Wirbel um die Bilder mit Erdogan verstärkte und dies auch die Mannschaft bei der WM beschäftigte. Anders als Teamkollege Ilkay Gündogan, der sich zumindest einigen ausgewählten Journalisten erklärte, erschien der 29-Jährige auch nicht zum Medientag der Mannschaft vor der WM.
Aber auch der Umgang des Deutschen Fußball-Bundes und der Sportlichen Leitung mit dem hochbrisanten Thema, das weit über den Fußball hinaus reicht, missriet gründlich. Die Chance zu einer Aktion wie der von Schwedens WM-Team, das nach den Attacken gegen den türkischstämmigen Nationalspieler Jimmy Durmaz geschlossen ein Zeichen gegen Rassismus setzte, ließ der DFB verstreichen. Bierhoff selbst versuchte mehrfach, die Debatte für beendet zu erklären und betonte noch kurz vor der Abreise nach Russland: «Was ich den beiden Spielern sage, ist, hakt es ab.»
Die DFB-Spitze indes versprach für die Zeit nach der WM Antworten in der Causa Özil/Gündogan, die auch Populisten und Fremdenfeinden zum Nährboden geriet. Zunächst allerdings solle es eine Tiefen-Analyse aller Ursachen für das erstmalige Scheitern in einer WM-Vorrunde geben – unter Federführung von Bierhoff. Mit seinem «Welt»-Interview hat der Nationalmannschaftsmanager nun offenbar schon Teile dieser Aufarbeitung vorgelegt. Und ist dabei auf Distanz zu Özil gegangen.
Damit stellt sich auch die Frage, wie Bundestrainer Joachim Löw nun den Regisseur des FC Arsenal für das nächste Länderspiel am 6. September in München nominieren soll. Özil selbst hatte sich nach der WM-Blamage alles offen gelassen. Über die sozialen Netzwerke warb er für den Kauf seines neues Arsenal-Trikots mit der Nummer 10 im Fanshop der Gunners. Vor ein paar Tagen hatte er an gleicher Stelle zu seiner WM-Enttäuschung noch mitgeteilt: «Ich werde einige Zeit brauchen, um darüber hinweg zu kommen.» Seine Botschaft versah er mit dem Hashtag «SayNoToRacism» (Sag Nein zu Rassismus).
Zumindest dies ein kleiner Hinweis auf die brandgefährliche Debatte, die seit Wochen auch die entfesselten Internet-Stammtische zum Kochen bringt. «Ohne Özil hätten wir gewonnen!», twitterte der AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier und war damit durchaus nicht allein. Dass Özil beim 0:2 gegen Südkorea, das letztlich das WM-Aus besiegelte, nicht nur statistisch zu den besten deutschen Spielern gehörte und fast alle guten Offensiv-Aktionen von ihm ausgingen, wird von dessen Kritikern komplett ignoriert.
Also Özil raus? So mancher könnte Bierhoffs Worte nun womöglich als weitere Vorlage für diese Forderung begreifen. «Im Rückblick würde ich versuchen, dieses Thema noch klarer zu regeln», sagt der Europameister von 1996 – und lässt dann doch eher neue Zweifel zurück. Sagt Bierhoff doch auch, Özil hätte «aus bestimmten und offensichtlichen Gründen» gar nicht das sagen können, was von ihm erwartet worden sei.
Irritierend wirkt Bierhoffs Erkenntnis auch vor dem Hintergrund der von ihm verantworteten Marketing-Kampagne um die DFB-Auswahl. Unter dem Hashtag «#zsmmn» sollte sich die Nationalmannschaft als Einheit präsentieren. Bierhoffs öffentliches Abrücken von Özil passt da nicht recht ins gewünschte Bild – und trägt dem Ex-Profi harsche Kritik in den Kommentarspalten ein.
Ohnehin ist nicht etwa der von seinem Weltmeister-Weg weit abgekommene Trainer Löw von vielen als böser Bube bei der krachend verpatzten WM-Mission ausgemacht worden, sondern Bierhoff. Die Wahl des ungeliebten WM-Quartiers im grauen Watutinki, die kühle Markenstrategie um das Team, die spürbare Entfremdung von den Fans – der beim DFB zuletzt zu einer Art Superminister beförderte Bierhoff muss plötzlich eine Reihe von Pannen verantworten. Man müsse «alles auf den Prüfstand stellen», sagt Bierhoff in dem «Welt»-Interview. Statt seiner Rolle beim WM-Versagen schiebt er nun aber vorerst wieder Özil in den Mittelpunkt.
(dpa)