Lahti – Das Abitur hat Andreas Wellinger vor zwei Jahren gemacht, nun will er bei der WM auch die sportliche Reifeprüfung bestehen.
In Lahti geht Deutschlands derzeit bester Skispringer erstmals bei einem Großereignis als heißer Medaillenkandidat an den Start und schlüpft damit in die Rolle des verletzten Weltmeisters Severin Freund. «Das ist eine spannende Herausforderung und neu für ihn, so etwas kann man nicht trainieren», sagt Bundestrainer Werner Schuster über den größten deutschen Hoffnungsträger auf der Schanze.
Für Wellinger war es ein langer Weg zur Nummer eins, als die er sich trotz seiner zuletzt überragenden Leistungen selbst gar nicht begreift. «Natürlich kann man das jetzt so sehen, dass ich der Leader bin. Ich sehe es ein wenig anders», sagt er vor der ersten WM-Entscheidung an diesem Samstag auf der kleinen Schanze.
Ende 2012 debütierte Wellinger als 17-Jähriger im Weltcup und wurde als größtes deutsches Talent seit Martin Schmitt gefeiert. Nach einigen Podestplätzen gelang ihm im Januar 2014 der erste Weltcupsieg, einige Wochen danach gewann er in Sotschi mit dem Team Olympia-Gold.
Doch dann gab es einen Karriereknick: Nach einem schweren Sturz in Kuusamo musste Wellinger an der Schulter operiert werden und fand nach einer längeren Zwangspause nicht mehr zur früheren Form. «Es ist damals zu schnell gegangen. Er hat mit 21 jetzt schon so viel erlebt wie andere mit Ende Zwanzig. Er hat im Zeitraffer Dinge durchgemacht, für die andere doppelt so lange brauchen», begründet Schuster die schwere Zeit.
Erst nach dem Ausfall des jahrelangen Frontmanns Freund, der nach einem Kreuzbandriss in der Heimat die Daumen drückt, setzte Wellinger wieder zum Höhenflug an. Seit Mitte Januar flog er achtmal auf das Weltcup-Podium und zählt nun zu den WM-Topfavoriten. «Severin hat mit seiner Professionalität den Takt vorgegeben und hat das deutsche Skispringen repräsentiert. Das ist noch mal eine andere Liga. Die anderen haben ein schönes Leben gehabt. Die wollten auch vor, aber mussten ja nicht. Das hat sich unbewusst eingeschlichen», sagt Schuster im Rückblick.
Wellinger hat nun die richtige Einstellung gefunden, um sein Talent zu vergolden. «Er ist zu Beginn seiner Karriere mit viel Vorschusslorbeeren reingegangen. Wenn er etwas erreicht hatte, dachte er immer, das passt schon», berichtet Schuster. «In den vergangenen zwei Jahren hat er angefangen, im Sommertraining noch konsequenter zu arbeiten, Profi zu sein über das ganze Jahr. Darum ist die Chance auf Stabilität jetzt größer.»
Das soll sich in Lahti auszahlen. In allen vier Wettbewerben – zwei Einzel, Mannschaft und Mixed – winkt dem Bayern Edelmetall. Er selbst geht gelassen damit um. «Wenn ich gut springe, so wie ich das momentan tue, dann gehöre ich auf jeden Fall zu den Medaillenanwärtern. Wenn nicht, sind zu viele Gute am Start, die dann besser sind», sagt Wellinger zu seinen WM-Chancen. Schuster ist da forscher: «Ich glaube, er kann eine Einzelmedaille schaffen. Da bin ich echt optimistisch.»
(dpa)