Monza – Zigtausende Tifosi jubeln. Konfettiregen. Der Platz vor dem beeindruckenden Mailänder Dom wird zum Roten Teppich. Auf der Bühne stehen die Fahrer der Scuderia Ferrari.
Sebastian Vettel, viermaliger Formel-1-Weltmeister, 52-maliger Grand-Prix-Sieger, 32 Jahre alt. Und Charles Leclerc, einmaliger Grand-Prix-Gewinner, 21 Jahre alt. Die Vergangenheit und die Zukunft des Rennstalls, der im nächsten Jahr seinen 1000. Grand Prix bestreiten wird und einen Faszinationsfaktor hat wie kein anderes Team. «In fünf Jahren sehe ich mich immer noch in der Formel 1, in rot gekleidet und mit dem Titel eines Weltmeisters», sagte Leclerc vor dem Heimrennen in Monza laut italienischen Medienberichten.
Dass Vettel in fünf Jahren noch bei Ferrari in der Formel 1 fährt, darf auf jeden Fall bezweifelt werden. Seine Mission beim italienischen Traditionsteam hat sich auch im fünften Jahr nicht erfüllt. 99 Punkte beträgt der Rückstand auf Lewis Hamilton von Mercedes an der Spitze des WM-Klassements vor dem Großen Preis von Italien. Ein weiteres Jahr ist Vettels Vertrag noch gültig.
Was dann passiert, gehört zu den spannendsten Personalfragen in der Motorsport-Königsklasse. Einer, den manche als möglichen Nachfolger irgendwann wähnen, bekam die Begeisterung der italienischen Fans bei der großen Sause auf der Piazza Duomo von Mailand am Mittwochabend zum 90. Geburtstag und 90. Italien-Rennen auch hautnah zu spüren: Mick Schumacher. Per Smartphone in der rechten Hand und mit dem linken Daumen hoch hielt er die Momente fest. Autogramme musste der Sohn des siebenmaligen Weltmeisters und ehemaligen Ferrari-Stars Michael Schumacher natürlich auch reichlich geben.
Schumacher, dessen Titelserie bei Ferrari im fünften Jahr begann und mit letztlich fünf WM-Triumphen nacheinander endete, hatte sich den Status der unangefochtenen Nummer 1 bei der Scuderia erarbeitet und auch für sich reklamiert. Schumachers Ferrari-Teamkollegen, ob ein Rubens Barrichello oder ein Felipe Massa, waren Helfer, keine Herausforderer. Teamorder wie zuletzt in Spa-Francorchamps gab es damals erst recht, aber zugunsten des Deutschen.
In Belgien am vergangenen Sonntag musste Vettel Helferdienste verrichten. «Ich sehe seine Situation jedenfalls nicht so negativ. Abgesehen davon: Nummer 1 ist bei uns immer das Team», sagte Teamchef Mattia Binotto der «Auto Bild». Vettel gab sich einsichtig, sportlich konnte er in dem Rennen auch nicht mit Leclerc mithalten.
Beides gibt zu denken. In Krisenzeiten neigte Vettel früher nicht unbedingt zur Einsicht, er wirkte stattdessen nicht selten trotzig oder grantelig. So wie 2014, als er in seinem letzten Jahr bei Red Bull von Daniel Ricciardo geschlagen wurde und eine ganze Saison ohne Sieg blieb.
So wie jetzt. Die Tatsache, dass Vettel seit über einem Jahr nicht mehr gewonnen hat, sage alles darüber, «in welchem Sumpf» dieser stecke, hieß es jüngst auf der Formel-1-Homepage. Ein Heimsieg seines Stallrivalen Leclerc, der erst seit dieser Saison den Ferrari steuert, würde Vettel noch weiter herunterziehen.
Der gebürtige Heppenheimer kämpft derzeit auch um seinen Status fürs nächste Jahr, wenn es vermutlich darum gehen wird, Hamilton auf dessen Erfolgsweg zu stoppen. Der 34-jährige Brite kann 2020 Schumachers Titelrekord einstellen – vorausgesetzt, er gewinnt die WM in diesem Jahr. Er kann die Rekordmarke von 91 Siegen überbieten und womöglich sogar seinen 100. Grand-Prix-Erfolg ansteuern.
Auch weil die Hierarchien bei Mercedes klar verteilt sind. Der Rennstall lässt beide Fahrer frei agieren, Valtteri Bottas ist der Übermacht des Briten aber nicht gewachsen. Ändern dürfte sich an der Situation auch im kommenden Jahr nichts, während Vettel schon jetzt um seine Vormacht kämpft.
(dpa)