Chemnitz – «Nazis raus» oder «Wir wollen keine Nazi-Schweine»: Sprechchöre dieser Art sind normalerweise bei politischen Demonstrationen zu hören – zuletzt aber auch öfter bei Spielen des Chemnitzer FC.
So wie jüngst in München, wo die Anhänger der zweiten Mannschaft des FC Bayern ihre Ablehnung gegenüber dem Club aus Sachsen lautstark artikulierten. Das Image des DDR-Meisters von 1967 ist schwer beschädigt.
Wer in diesen Tagen über den Chemnitzer FC spricht, der redet nicht über Michael Ballack oder Trainer-Legende Hans Meyer. Für Schlagzeilen sorgen vor allem einzelne Fangruppen, die dem Traditionsverein mit teils kriminellen Aktionen seit mehreren Monaten enormen Schaden zufügen und den CFC in die rechte Ecke drücken.
Rückblick: Nach dem gewaltsamen Tod eines Mannes beim Chemnitzer Stadtfest 2018 riefen Mitglieder der Hooligan-Gruppierung «Kaotic Chemnitz» zu einem Protestmarsch auf. Im März betrauerten CFC-Fans im Heimspiel gegen Altglienicke öffentlich den Tod eines bekannten Hooligans und Rechtsextremisten. Beim Spiel in Halle am 3. August wurde im Chemnitzer Fanblock eine Zaunfahne aufgehängt, die CFC-Insolvenzverwalter Klaus Siemon im Fadenkreuz zeigte.
Auf einer Herrentoilette sei am 16. August beim Heimspiel gegen Magdeburg ein Graffiti «KS und TS töten» entdeckt worden. Damit sollen Siemon und Geschäftsführer Thomas Sobotzik gemeint gewesen sein. Am vergangenen Samstag der vorerst letzte Eklat: Sobotzik soll von einzelnen Fans in München als «Judensau» beschimpft worden sein. «Ich war entsetzt», sagt Daniel Maaß, der erst seit Mai Anti-Rassismus-Beauftragter beim CFC ist: «Ich habe unmittelbar danach mit dem Zentralrat der Juden Kontakt aufgenommen. Wir befinden uns derzeit in Gesprächen.»
Maaß gibt zu, dass innerhalb der Chemnitzer Fanszene ein offensichtlich akutes Rassismus- und Antisemitismus-Problem existiert: «Die Probleme sind aber so, dass wir sie nicht ad hoc lösen können. Die Strukturen sind langfristig gewachsen. Wir müssen sie jetzt ebenfalls langfristig angehen. Dazu sind wir bereit.»
Aber was läuft in der Chemnitzer Fankurve eigentlich konkret schief? «Zum einen liegt das Macht- und Gewaltmonopol seit vielen Jahren bei extrem rechten Hooligans, bei den Gruppen Kaotic und den offiziell aufgelösten NS-Boys», sagte der Fan- und Extremismus-Forscher Robert Claus dem Magazin «11Freunde». «Aber diese Debatte darf nicht nur auf diese beiden Gruppen beschränkt werden, sondern muss auf den Sozialraum Chemnitz ausgeweitet werden. Schaut man sich jugendkulturelle, rechte Erlebniswelten an, dann sind Hooliganismus, Fußball und Rechtsrock dafür ganz wichtig.»
Zwar seien Gruppen wie Kaotic Chemnitz oder NS-Boys nicht groß, aber gut organisiert und vernetzt. Dass im Frühjahr die Gruppe «CFC-Fans gegen Rassismus« gegründet wurde, ist für Fanforscher Claus «Gold wert». «Bisher war Chemnitz einer der wenigen Standorte im deutschen Fußball, an dem es überhaupt keine anti-rassistische Faninitiative gab. Es fehlte bisher ein Gegengewicht, zivilgesellschaftliches und anti-rassistisches Engagement. Wenn der jetzt langsam entsteht und vom Verein langfristig gefördert und gestützt wird, dann sind sie auf dem richtigen Weg.»
Der CFC fühlt sich auf diesem Weg vor allem von der regionalen Politik noch zu sehr im Stich gelassen. Nachdem sich der Club von seinem ehemaligen Kapitän Daniel Frahn getrennt hatte, weil dieser beim Spiel am 3. August in Halle im Fanblock an der Seite von Anhängern stand, die der rechtsextremen Szene zugeordnet werden, folgten kaum Reaktionen. «Überregional gab es für unsere Entscheidung viel Zuspruch. In Chemnitz und im Umland hatte sich nur die AfD öffentlich geäußert, sonst niemand. Das hat mich sehr gestört und finde ich sehr schade», kritisierte Sobotzik. Via «Tagesspiegel» bekräftigte er: «Bei so einschneidenden Ereignissen sollten alle Verantwortlichen Position beziehen.»
Zum anderen ist die Lage beim Chemnitzer FC vom aktuellen Insolvenzverfahren geprägt. Die Profiabteilung wurde aus dem insolventen Stammverein, der 51 Prozent Hauptanteilseigner an der CFC Fußball GmbH ist, bereits ausgegliedert. Die Angst, dass der Insolvenzverwalter und die Gesellschafter die «50+1»-Regel umgehen könnten, die im deutschen Fußball den Einfluss von Investoren begrenzen soll, ist unter den Anhängern groß.
Die Debatten werden angesichts der jüngsten Ereignisse aber oftmals vermengt, so dass ein konstruktiver Dialog zwischen beiden Seiten kaum möglich ist. Es herrscht gegenseitige Ablehnung, die zuletzt immer wieder in Drohungen, Diffamierungen und Beleidigungen gipfelte.
«Das Bild, das der CFC derzeit in der Öffentlichkeit abgibt, ist verheerend. Der Club verliert immer mehr seine Verankerung in der Stadtgesellschaft», gibt Detlef Müller zu bedenken. Der SPD-Bundestagsabgeordnete ist seit 1978 Vereinsmitglied.
Dass der CFC zunehmend isoliert dasteht, ist für Müller eine logische Folge der jüngsten Entwicklungen. «Persönlich fand ich die Trennung von Daniel Frahn sehr gut und konsequent. Aber die Zeiten, dass sich Parteien, Politiker oder Institutionen zu jedem Vorgang beim CFC öffentlich äußern, sind vorbei.» Zudem räumte Müller ebenfalls Versäumnisse bei der Fanarbeit in den vergangenen Jahren ein: «Der Verein hat es zu lange akzeptiert und nur schulterzuckend zugeschaut, wie sich die rechten Strukturen innerhalb der Fanszene entwickeln konnten. Das Problem wurde einfach laufen gelassen.»
(dpa)