Van Basten schießt Holland 1988 ins Glück

Berlin (dpa) – Es ist der Moment für die Geschichtsbücher. Eine weite Flanke von Arnold Muhren segelt auf Marco van Basten zu. Den Ball annehmen, ins Dribbling gehen, wäre sicher die gewöhnlichste Variante gewesen.

Schließlich steht der Youngster weit weg vom Tor in einer schier aussichtslosen Position. Doch van Basten ist kein gewöhnlicher Stürmer. Der damals 23-Jährige nimmt den Ball volley. Gebannt schauen 72 000 Zuschauer im Münchner Olympia-Stadion auf die Flugkurve, ehe sich das Leder wie eine Bogenlampe über den sowjetischen Weltklasse-Torwart Rinat Dassajew hinweg ins Tor senkt.

Ein Jahrhunderttor, das Oranje an jenem 25. Juni 1988 endgültig in einen Freudentaumel versetzt. Mit dem Tor zum 2:0-Endstand im Finale gegen die favorisierte UdSSR ist der erste EM-Titel der Niederländer besiegelt und zugleich das persönliche Fußball-Märchen von van Basten fertig geschrieben.

Als Ersatzspieler war van Basten ins Turnier gegangen. «Ich war in der Saison lange verletzt und in keiner guten Verfassung. Es gab keinen Grund daran zu denken, in der ersten Elf zu stehen. Ich musste auf meine Chance warten», sagt van Basten rückblickend. Und die Chance kam schon gegen England im zweiten Gruppenspiel, das der Torjäger zu seiner großen Show nutzte. Mit drei Toren besiegte «Angelo ghaiacciato» (eiskalter Engel), wie sie ihn beim AC Mailand nannten, die Engländer beim 3:1 im Alleingang.

Van Basten war angekommen im Turnier und sein nächster großer Auftritt sollte im Halbfinale gegen Deutschland in Hamburg folgen. Wenige Minuten vor Schluss verlädt er seinen Gegenspieler Jürgen Kohler, mit dem er sich in den folgenden Jahren noch viele große Duelle liefert, und schießt zum 2:1-Sieg ein. Holland jubelt, Holland feiert die Wiedergeburt des «Voetbal Totaal».

Van Basten, Ruud Gullit und Frank Rijkaard, die auch zusammen beim AC Mailand ein kongeniales Trio bildeten, standen für die hohe Fußball-Kunst der Niederländer und bescherten dem Bondscoach Rinus Michels beim Finale «den schönsten Tag meines Lebens». Für den 2005 gestorbenen Startrainer war es zugleich die Begleichung einer alten Rechnung. Auch 1974 hatte er die Elftal trainiert, als sie das WM-Finale gegen Deutschland in München auf so bittere Weise 1:2 verloren hatte.

Alte Rechnungen hatte wohl auch Ronald Koeman im Sinn, als er nach dem Halbfinale gegen Deutschland sein hässliches Gesicht zeigte. Mit dem Trikot von Olaf Thon hatte sich der Abwehrchef nach dem Sieg von Hamburg den Hintern abgewischt. Dumm und unbeherrscht sei die Aktion gewesen, meinte der niederländische Torhüter Hans van Breukelen. Eine Aktion, die die Rivalität zwischen den beiden Top-Nationen nur weiter befeuern sollte und im WM-Achtelfinale 1990 ihren nächsten unschönen Tiefpunkt mit der Spuckattacke von Rijkaard gegen Rudi Völler fand.

Van Basten ließ sich zu derartigen Emotionen nicht hinreißen. Der EM-Torschützenkönig startete in den folgenden Jahren weiter durch und gewann 1989 und 1990 mit Milan den Europapokal der Landesmeister. Nur mit Oranje kam kein weiterer Erfolg hinzu. Auch nicht in seiner Zeit als Bondscoach von 2004 bis 2008. Dort endete seine Amtszeit durch ein 1:3 im EM-Viertelfinale gegen Russland. Jener Gegner, gegen den van Basten das wohl wichtigste Tor seiner Karriere geschossen hat.

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(dpa)