München – Schon in der Kabine mit dem Logo des gestürzten Titelverteidigers FC Bayern auf dem Boden feierten die Basketballer der MHP Riesen Ludwigsburg ihre erste kleine Final-Party.
Lautstark bejubelten die Mitspieler ihren Matchwinner Marcos Knight, übergossen den überragenden US-Profi mit Wasser – und peilen bei ihrer ersten Endspielteilnahme überhaupt den ganz großen Coup an.
«Es sind zwei Spiele, es ist ein Finale – da ist alles möglich», sagte Vorstand Markus Buchmann der Deutschen Presse-Agentur nach dem größten Erfolg der Vereinsgeschichte enthusiastisch auf der ansonsten zuschauerleeren Tribüne in München. «Wir sind einfach nur stolz auf die Mannschaft, mit welcher Überzeugung, mit welchem Willen, mit welchem Einsatz sie gespielt hat – sensationell. Wir freuen uns auf dieses Festival und schauen, ob die Mannschaft uns jetzt auch mit dem Titel überraschen wird.»
Nach dem Viertelfinal-K.o. für die Münchner setzte sich der Außenseiter beim Meisterturnier im Halbfinal-Rückspiel mit 94:85 auch gegen das zuvor ungeschlagene ratiopharm Ulm durch. Mit 26 Punkten, 13 Rebounds und drei Assists lieferte der nur 1,88 Meter große Aufbauspieler Knight erneut eine Gala ab. «Er hatte wieder ein unglaubliches Spiel. Er war am Anfang umgeknickt, wurde getaped», schwärmte Trainer John Patrick von seinem Anführer. «Ein Wahnsinn.»
Der gebürtige Amerikaner Patrick coacht Ludwigsburg bereits seit 2013, hat großen Anteil am Erfolg des Clubs. «Wir sind der Underdog, aber man sieht, was man mit Willen und Einsatz erreichen kann – und das ist ganz klar die Handschrift von John Patrick», beschreibt Vorstand Buchmann den Trainer.
So ist es keine Überraschung, dass Ludwigsburg ausgerechnet unter den besonderen Bedingungen der Coronavirus-Krise mit bislang acht Spielen in 17 Tagen seinen größten Erfolg feiert, wenn es noch mehr als sonst auf Durchhaltevermögen ankommt. Im vergangenen Jahr hatten die Riesen noch die Playoffs verpasst, lagen diese Saison aber bereits in der abgebrochenen Hauptrunde überraschend hinter Bayern auf Rang zwei.
Mit einem geschätzten Etat von fünf Millionen Euro wähnt sich der Club im Mittelfeld der Liga. Ludwigsburg steht dabei nicht für einen kreativen Offensivwirbel wie die Ulmer oder Alba Berlin, sondern überzeugt mit knallharter Verteidigung und vielen Einzelaktionen im Angriff. «Unser Stil ist bekannt: Defensiv, zermürbend, viel Druck», sagte Center Jonas Wohlfarth-Bottermann. Das Hinspiel gegen Ulm bezeichnete Patrick als «ugly» (hässlich), das zweite Duell als «Dogfight».
Für das Meisterturnier hat der Coach aufgrund mehrerer Ausfälle seinen 16 Jahre jungen Sohn Jacob und den zwei Jahre älteren Johannes in den Kader berufen. Insgesamt sind sogar fünf deutsche U20-Talente dabei – die nun vor ihrer größten Bewährungsprobe stehen. In die beiden Endspiele am Freitag und Sonntag geht Ludwigsburg als Außenseiter. Der achtmalige Meister Alba Berlin besaß vor seinem zweiten Halbfinale gegen die EWE Baskets Oldenburg am Mittwochabend ein 29-Punkte-Polster aus dem Hinspiel. «Es ist schwierig, sie haben so viele Waffen, bestimmt zehn Leute, die 20 Punkte machen können», sagte Ludwigsburgs Trainer John Patrick über den Hauptstadtclub.
© dpa-infocom, dpa:200623-99-539955/5
(dpa)