Moskau – Die herzlichen Glückwünsche von Wladimir Putin hat Russlands WM-Erfolgstrainer Stanislaw Tschertschessow schon erhalten, ebenso die Ehrenbürgerwürde seiner kaukasischen Heimatstadt Alagir.
Jetzt also noch ein Denkmal in Moskau für den kauzigen Coach? Igor Woskressenski bremst die Euphorie. «Das kommt viel zu früh», sagt der Vorsitzende der Moskauer Denkmalkommission zu den Forderungen beglückter russischer Fußballfans. Die Weltmeisterschaft sei ja noch nicht zu Ende, gibt der Beamte zu bedenken. «Heute wird einer hochgejubelt, morgen wird er verflucht – so ist doch der Sport.»
Tschertschessow wird also vorerst weiterhin nur wie sein eigenes Denkmal am Spielfeldrand stehen: Mit stoischer Miene und starr wie Granit verfolgt der Trainer beim laufenden Turnier meist die Spiele seiner Mannschaft. Aber bei einem Sieg des WM-Gastgebers am Samstag im Viertelfinale gegen Kroatien in Sotschi könnte das Denkmal-Thema wieder aufkommen. Denn falls jemand etwas von Heldenverehrung versteht, dann Russland als Wiege der Ikonenmalerei.
Ein Torwart als Erfolgstrainer: Im Weltfußball ist das selten. Dino Zoff hat das als einer der wenigen geschafft. Als Spieler wurde der Italiener Welt- und Europameister, als Coach Vize-Europameister. Soweit ist Tschertschessow nicht. Dynamo Moskau, FC Wacker Tirol, Legia Warschau: Noch fehlt der Glanz in seinen Trainerstationen.
Mit einer Reise ins WM-Halbfinale – oder sogar weiter? – würde er sich aber zumindest sportlich ein Denkmal setzen. Sich bei der Eishockey-Nation Russland als Fußballer bemerkbar zu machen, schaffen nur die wenigsten. Für viele Russen, heißt es oft, ist «Eishockey» wenn nicht das erste, dann doch das zweite Wort in ihrem Leben.
Stanislaw Salamowitsch Tschertschessow wurde der Erfolg nicht in die Wiege gelegt. Am 2. September 1963 in Nordossetien als jüngstes von fünf Kindern geboren, verlässt er früh Vater (Busfahrer), Mutter (Hausfrau) und vier Schwestern. Von Spartak Moskau wechselt er 1993 zu Dynamo Dresden. Bei dem Bundesligisten nennen sie ihn «Stan», später in Innsbruck «Stani». Sein Trainer in Österreich: Joachim Löw.
Nach seiner Rückkehr nach Russland kommt er über Terek Grosny und Amkar Perm zu Legia Warschau und im August 2016 zur Sbornaja. Am Dienstag hieß es, er sei in Polen als möglicher Nachfolger von Adam Nawalka im Gespräch. Tschertschessow besitzt offiziell nur einen Vertrag bis zur Heim-WM – doch schwer zu glauben, dass Russland den 54-Jährigen ziehen lässt. Auch er selbst rechnete zuletzt mit einem Verbleib auf seinem Posten: «Davon bin ich überzeugt.»
Und danach? Vielleicht ein Job in Deutschland, irgendwann? Tschertschessows Deutschkenntnisse sind mehr als gut. Und seine Nähe zu dem Land ist bekannt. «Ich kann über Deutschland nur mit großer Wärme sprechen. Mein Sohn Stanislaw ist dort geboren», sagt der Mann mit dem charakteristischen Schnauzbart. Aber seine Pläne verrät der frühere Bundesligaprofi nur ungern. So antwortete er vor dem WM über seine Ziele für das Heim-Turnier schmallippig: «Ein Hürdenläufer, der an die letzte Hürde denkt, stolpert über die erste.»
Kritiker beklagen, dass Tschertschessow die Mannschaft höchstens taktisch, aber kaum spielerisch vorangebracht habe. Sicher aber ist: Die «Sphinx von Alagir», wie russische Zeitungen den Geheimniskrämer auf der Trainerbank nennen, wird die Nationalmannschaft gut auf Kroatien vorbereiten. Gewinnt die Sbornaja auch dieses Spiel, kommt Denkmal-Kommissionschef Woskressenski vermutlich ins Grübeln.
(dpa)