Moskau – Immerhin: Die befürchtete Abrechnung der russischen Presse blieb Trainer Stanislaw Tschertschessow und der Sbornaja nach dem frühen Confed-Cup-K.o. erspart. «Das Wunder verschiebt sich um ein Jahr», titelt die Zeitung «Rossijskaja Gaseta» mit Blick auf die Fußball-WM 2018.
Dann sollen Gastgeber Russland und sein Nationaltrainer an sportlichen Erfolgen nachholen, was beim Confederations Cup ausblieb. Der frühere Bundesliga-Torwart von Dynamo Dresden wusste vom ersten Tag an, dass sein Job als Trainer der russischen Nationalmannschaft kein Zuckerschlecken sein würde.
Er muss aus nur wenigen talentierten Spielern eine konkurrenzfähige Mannschaft formen, ist dabei auch immer ein Botschafter des hochumstrittenen russischen Sport-Systems – und muss sich jetzt auch noch mit den laufenden Doping-Ermittlungen des Weltverbands FIFA zum WM-Kader von 2014 arrangieren. Die Frage ist: Kann der 53 Jahre alte Hüne mit dem markanten Schnauzer genau der Fels in der Brandung sein, den die Sbornaja jetzt braucht? Ist der Mann aus Nordossetien im Unruhegebiet Nordkaukasus so jemand?
Der Confed Cup war eine Nagelprobe für den früheren russischen Nationaltorhüter. Gefragt nach politisch verfänglichen Themen, übt er sich als Diplomat. Wie etwa bei der Frage zu Präsident Wladimir Putins bizarrem Auftritt beim Eröffnungsspiel, als dieser von «einem Triumph des Sports» und «hartem, ehrlichem, fairem Kampf» parliert.
«Wenn der Präsident kommt und eine Rede hält, ist das eine große Motivation für uns und ein Vorteil, aber auch eine Verantwortung», gab Tschertschessow knapp zu Protokoll. Nächste Frage.
Als er die Sbornaja 2016 von Leonid Sluzki übernahm, steckte der russische Fußball in einem depressiven Tief. Das Vorrunden-Aus bei der EM in Frankreich hatte eine derartige Welle der Kritik ausgelöst, dass der Wahl-Österreicher Monate brauchte, um die Wogen zu glätten.
Auch nach den beiden Niederlagen gegen technisch überlegene Portugiesen und Mexikaner beim Confed Cup ließen die ersten Fragen nach einem Rücktritt Tschertschessows nicht lange auf sich warten. Doch Moskaus Sportführung weiß: Es gibt kaum Alternativen. Sluzki, Russlands wohl renommiertester Fußballlehrer, kassierte gerade erst bei der EM eine Ohrfeige. Dessen ungeliebter Vorgänger, der Italiener Fabio Capello, musste wegen fehlender Erfolge und ewiger Debatten um sein exorbitantes Gehalt ebenfalls vorzeitig gehen.
Deswegen weiß auch Tschertschessow, dass ihm Verbandschef Witali Mutko quasi einen Blanko-Scheck ausgestellt hat für die kritische Phase bis zur WM. «Tschertschessow wird weitermachen, unabhängig vom Ergebnis des Spiels gegen Mexiko», hatte Mutko bereits vor dem Confed-Cup-Aus gesagt. «Lassen Sie uns ihn unterstützen. Lassen Sie uns ihm vertrauen. Geben Sie ihm eine Chance.»
Die schützende Hand des mächtigsten Sportpolitikers zeigt Wirkung. In einer Onlineumfrage des «Sport-Express» geben nur 18 Prozent der mehr als 43 000 Teilnehmer dem Trainer die Schuld für das Ausscheiden.
Dennoch wird Tschertschessow mit seinem barschen Auftreten auch bis zur WM kaum der Liebling der Presse werden. «Wie Stabsaugerverkäufer, die ihn sonntags aus dem warmen Bett an die Sprechanlage der Haustür genötigt» hätten, habe Tschertschessow die Journalisten abgewatscht, kritisiert ein russischer Reporter von Eurosport.
In der Tat erinnert Tschertschessow vor den Mikros manchmal an einen eisernen sowjetischen General, der Kommandos bellt und unbequeme Fragen vom Tisch wischt. Doch das ist nur die eine Seite. In mit bedacht gesetzten Interviews zeigt er sich lustig und kumpelhaft.
Gerne erzählt er da von seinen lehrreichen Jahren in Dresden und seiner Glanzzeit beim FC Tirol, mit dem er drei Jahre in Serie österreichischer Meister wurde. Auch 15 Jahre nach seiner Spielerkarriere begreift er Innsbruck als Wahlheimat. Mit Stolz bezeichnet er seinen früheren Trainer Joachim Löw bis heute als ein Vorbild und freut sich über einen weiterhin guten Kontakt.
Seine sportlichen Entscheidungen trifft Tschertschessow aber lieber abseits der Kameras. Manchmal verwirrt er damit Fans und Medien. Manchmal sind ihm wegen der fehlenden Qualität vieler russischer Spieler die Hände gebunden. Das beliebte Fachblatt «Sport-Express» fordert jedenfalls, dass die Sbornaja im verbleibenden Jahr bis zur WM in sich gehen soll: «Um nachzudenken und Schlüsse zu ziehen. Für den Cheftrainer, um seinen Blick auf die eigene Größe zu überdenken. Und für die Fußballer, um zu erkennen, wie lächerlich sie im Vergleich zu ihren Gegnern aus anderen Ligen sind.»
(dpa)