Stoch: Ohne Druck zum historischen Tournee-Triumph?

Oberstdorf (dpa) – Kamil Stoch lässt sich nicht unter Druck setzen. «Ich versuche ruhig zu bleiben. Ich bin glücklich mit der Situation, in der ich jetzt bin», sagte Polens Skisprung-Held vor dem Start des Projekts erfolgreiche Titelverteidigung.

Schon zum Auftakt kann Stoch einen weiteren Rekord aufstellen. Siegt er am Sonntag in Oberstdorf (16.30 Uhr), ist er bei der 67. Ausgabe der Erste, der sechs Einzelspringen bei der Vierschanzentournee in Serie gewinnt.

«Ihn bringt nichts aus der Ruhe, er wird einfach nicht hektisch», sagt Deutschlands bis dato letzter Tournee-Sieger Sven Hannawald über den 31-Jährigen, der in seiner Heimat «König Kamil» genannt wird. Bei der vergangenen Tournee schaffte Stoch als erst zweiter Springer den Grand Slam mit Siegen auf allen vier Schanzen – nach Hannawald. 2016/17 hatte er bei seinem ersten Gesamtsieg den Abschluss in Bischofshofen gewonnen, Hannawald gewann bei der Tournee 2001/2002 alle vier Springen sowie zum Auftakt 2002/2003 in Oberstdorf das fünfte nacheinander. «Er geht sicher ohne Druck in die Tournee, er hat sie zweimal gewonnen», meint Polens Trainer Stefan Horngacher über Stoch.

Der absolute Top-Favorit ist der Dominator des vergangenen Winters, der nach der Tournee auch bei Olympia gewann, zwei Medaillen bei der Skiflug-WM holte und im Gesamtweltcup triumphierte, dieses Jahr nicht. Ryoyu Kobayashi heißt bislang der Überflieger der Saison. «Ryoyu bietet Top-Niveau», sagte Stoch über den Japaner genauso knapp wie zutreffend. Von sieben Weltcup-Einzelspringen in dieser Saison gewann der Japaner vier, landete nur einmal nicht auf dem Podest.

Konkurrenz kommt für Stoch auch aus dem eigenen Lager: Piotr Zyla springt im Weltcup auf konstant hohem Niveau. «Wir haben mit den beiden zwei Leute, die um den Sieg kämpfen können», sagte Horngacher. Ein Problem ist das für Stoch nicht. Der aufgrund seiner Leistung und seines Standings vermeintliche Anführer im Team sei «kein Kapitän, sondern eher ein Matrose», erklärt der Coach. Stoch freue sich auch, wenn ein anderer im Team gewinnt. «Er ist extrem bodenständig und ein pflegeleichter Spitzenathlet.»

Dass Hannawald und andere Experten Stoch trotz zuletzt einer Kobayashi-Flugshow nach der anderen weit oben auf der Rechnung haben, hat unter anderem folgenden Grund: Stoch ist echter Tournee-Experte und weiß, was zu tun ist, um auf den Punkt topfit zu sein. Im vergangenen Jahr erreichte er just zum Skisprung-Spektakel in Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck und Bischofshofen seine Höchstform. Gelingt ihm das nun wieder?

Glaubt man Horngacher, ist das nicht unwahrscheinlich. «Dieses Jahr ist er besser als im letzten Winter zum gleichen Zeitpunkt», sagte der Trainer bei der internationalen Generalprobe in Engelberg in der Schweiz. Das kann man durchaus als Drohung verstehen. Denn: 2017 war Stoch in Engelberg nicht gerade ein Bruchpilot, wurde Dritter und Zweiter.

Stochs Ergebnisse bei den polnischen Meisterschaften am zweiten Weihnachtsfeiertag untermauern Horngachers These von der starken Form seines Springers: In Zakopane sicherte sich Stoch den Titel und besiegte die nationale Konkurrenz mit großem Vorsprung.

Krönt er sich tatsächlich zum dritten Mal in Serie zum Tournee-Gesamtsieger, hätte Stoch etwas geschafft, was vor ihm bisher nur dem Norweger Björn Wirkola zwischen 1966 und 1969 gelang. Stochs Heldenstatus in Polen würde das wohl nochmal auf eine neue Stufe heben.

Schon jetzt hat er in seiner Heimat den größten Skisprung-Hype seit den glorreichen Zeiten von Adam Malysz Anfang dieses Jahrtausends ausgelöst. Auch bei der Tournee werden wieder zahlreiche polnische Fans an die Schanzen pilgern und Stoch lautstark feiern – spätestens dann dürfte es auch für den jetzt noch so coolen «Matrosen» schwer werden, ruhig zu bleiben.

(dpa)