München – Uli Hoeneß ist bei der Rückkehr an die Spitze «seines» FC Bayern gleich als Krisenhelfer gefordert.
Der 64-Jährige, der nach seiner verbüßten Haftstrafe wegen Steuerhinterziehung am Freitagabend auf der Jahreshauptversammlung in München wieder ins Präsidentenamt strebt, muss den deutschen Fußball-Rekordmeister mit einer Ruckrede aus seiner Herbst-Depression reißen. Die Stimmung ist nach dem 2:3-Desaster in der Champions League im frostigen Russland gegen das Leichtgewicht FK Rostow an einem Tiefpunkt angelangt.
Aus dem Bundesliga-Topspiel gegen Bayer Leverkusen am Samstag (18.30 Uhr) ist ein echtes Druckspiel geworden. Weltmeister Jérôme Boateng beschrieb die zugespitzte Ausgangslage noch vor dem hastigen Rückflug aus Rostow in der Nacht zum Donnerstag drastisch: «Wir haben drei, vier Jahre so eine Situation nicht gehabt. Jetzt haben wir sie!»
Platz zwei in der Champions-League-Gruppe ist nach dem verpassten Endspiel gegen Atlético Madrid am 6. Dezember fix. Der Abwärtstrend nach dem Traumstart mit acht Pflichtspielsiegen unter Trainer Carlo Ancelotti lässt Zweifel aufkommen, dass die bis Weihnachten ausgerufene Jagd auf Liga-Spitzenreiter RB Leipzig von Erfolg gekrönt sein wird. «Noch ist nichts Dramatisches passiert», sagte Kapitän Philipp Lahm zwar nach dem Frust-und-Frost-Abend am Don. «Aber wir müssen Dinge einfach ändern», mahnte die Führungskraft energisch.
Erstmals seit Mai 2015 verloren die Bayern zwei Pflichtspiele nacheinander. Gegen Rostow gab es erstmals drei Gegentore unter Ancelotti – «und das gegen einen Gegner, der nicht zur Weltspitze gehört», wie Lahm betonte. Sardar Azmoun, Dimitri Polos per Foulelfmeter und Christian Noboa überwanden Ersatztorwart Sven Ulreich. Die Münchner Tore von Douglas Costa und Juan Bernat reichten angesichts der katastrophalen Defensivleistung nicht. Ancelotti übernahm die «volle Verantwortung» und verkündete: «Ich muss die Mannschaft so schnell wie möglich wieder in die Spur bringen.»
Nur in welche? Auch nach vier Monaten ist nicht klar zu erkennen, welche Art Fußball der FC Bayern unter dem Italiener spielen will. Das von Ancelotti bevorzugte 4-3-3-System, mit dem er 2014 mit Real Madrid die Champions League gewann, passt nach vorne und hinten nicht. Der Pep ist verflogen, die fast maschinelle Präzision im Münchner Spiel. Stabilität, Konsequenz und ein kollektiver Plan fehlen. Die Bayern sind drauf und dran, in der Bundesliga und in Europa ihren Schrecken zu verlieren. Unantastbar sind sie nicht mehr.
«Unser Problem ist, dass wir zu sorglos sind», urteilte Lahm: «Das hat uns in den letzten Jahren sehr stark gemacht, dass wir dem Gegner wenig zugelassen haben, wenig hergeschenkt haben. Das war eine unglaubliche Stärke von uns und das fehlt uns augenblicklich.»
Man sei «auseinandergebrochen», befand Boateng. Gegen Rostow, das beim Hinspiel in München noch mit 5:0 abgefertigt werden konnte. Jeder Spieler müsse jetzt in sich hineinhorchen. Und dann müsse man als Team gegen Leverkusen «eine Antwort geben», forderte Boateng. Der Einsatz des in Rostow gleich an zwei Gegentoren beteiligten Abwehrchefs soll nach seiner Muskelverhärtung nicht gefährdet sein. Von Karl-Heinz Rummenigge erntete der Abwehrchef jedoch einen öffentlichen Rüffel. Boateng müsse wieder «back to earth» kommen, also auf den Boden, äußerte der Bayern-Chef im TV-Sender «Sky».
Der zweite Platz muss nicht unbedingt ein Hammerlos gegen einen der Gruppenersten im Champions-League-Achtelfinale bedeuten. Ernsthafte Sorgen wies Lahm zurück, eine «Eigendynamik» sehe er nicht aufkommen. «Wichtig ist, dass wir schnell daraus lernen. Wir müssen jetzt gegen Leverkusen schon mal wieder eine Leistung zeigen, die uns positiv stimmt», sagte der Kapitän: «Wir wollen eine Topmannschaft sein.»
Womöglich gelingt es Hoeneß, der auf den strapaziösen Trip nach Russland verzichtet hatte, bei seiner Inthronisation die Stars aufzurütteln und den FC Bayern aus der Schaffenskrise zu reißen. «Ich weiß nicht, ob das einen Push gibt», sagte Lahm. Aber Hoeneß‘ Comeback bewirke sicherlich, «positiv in die Zukunft zu blicken».
Der neue Bundesliga-Primus aus Leipzig kann den großen Tag von Hoeneß übrigens aktiv mitprägen. Der beste Neuling in 54 Jahren Bundesliga muss am Freitagabend parallel zur Bayern-Versammlung in Freiburg antreten. Der Leipziger Vorsprung auf den Serienmeister könnte auf sechs Punkte anwachsen. Das würde den Druck in München noch erhöhen.
(dpa)