Berlin – Nach den neuen Belegen für Doping in Westdeutschland sieht Experte Fritz Sörgel das «Sittenbild Sport» vervollständigt.
«Für die Diskussion in der Gesellschaft ist es auch wichtig, weil man jetzt wieder ein bisschen mehr sagen kann: Ja so war’s wirklich!», sagte Sörgel der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf die Dissertation des Wissenschaftlers Simon Krivec von der Universität Hamburg. Darin haben 31 ehemalige Leichtathleten Anabolika-Doping in der Zeit von 1960 bis 1988 eingeräumt. Sechs Athleten haben der Veröffentlichung ihrer Namen zugestimmt.
Sörgel sieht in dem «wichtigen Dokument der Zeitgeschichte» eine Bestätigung der Untersuchungsergebnisse aus Freiburg. Erst kürzlich hatte der Wissenschaftler Andreas Singler eine Studie zum früheren Olympia-Chefarzt Joseph Keul veröffentlicht. Dieser sei einer der «am meisten dopingbelasteten Sportmediziner in Westdeutschland» gewesen, lautete das Ergebnis.
Im Vergleich zum mutmaßlichen Staatsdoping im Osten beschreibt Sörgel die Praktiken im Westen als «toleriertes Staatsdoping oder Staatsdoping unter stillem Druck, denn ein Nicht-Hinschauen ist 100 Prozent Mitschuld». Auch wenn in der Hamburger Studie nur die Leichtathletik durchleuchtet wurde, sei «Doping kein Problem einzelner Sportarten», ergänzte Sörgel. Es gebe keine Sportart, die nicht unter den richtigen Medikamenten besser ausgeübt werden könne.
Krivec will seine Dissertation am 3. April veröffentlichen. Die Reaktionen fielen bislang unterschiedlich aus. Von der Nationalen Anti-Doping-Agentur habe es eine Anfrage gegeben, von den Verbänden nicht. Die Reaktion der an der Befragung teilgenommenen Athleten sei indes durchweg positiv gewesen.
Der Verein Doping-Opfer-Hilfe (DOH) forderte eine gesamtdeutsche Aufarbeitung der Dopingvergangenheit. «Hier darf nichts mehr hinter der Nebelwand verschwinden, weder in Ost noch in West. Das sind wir den vielen Opfern schuldig», sagte die DOH-Vorsitzende Ines Geipel einer Mitteilung zufolge. Beteiligte Trainer, Ärzte, Funktionäre und Politiker müssten zur Verantwortung gezogen werden.
Zu Krivec‘ Enthüllungen hieß es in der DOH-Mitteilung: «Damit ist die Dopingvergangenheit des Westens in nie da gewesener Dimension ein Fakt und kann nicht mehr als Schwarze-Schafe-Phänomen wegmoderiert werden.»
(dpa)