Sheffield – Als für Ronnie O’Sullivan alles vorbei war, wurde es noch einmal emotional. Verflogen schien der Frust über den Snooker-Weltverband, mögliche Sanktionen und das sportlich bittere Aus im WM-Viertelfinale gegen Ding Junhui.
O’Sullivan war es einfach wichtig, seinem Kontrahenten und Freund aus China einen Glückwunsch und ein paar nette Sätze ins Ohr zu sprechen, während das Publikum in Sheffield großen Beifall klatschte. Der Chinese legte seinen Kopf auf die Schulter des Snooker-Genies und erklärte später: «Er hat gesagt, dass ich ein stärkerer Spieler geworden bin. Und ich bin stolz, die Unterstützung von Ronnie zu haben.»
Die ganz große Enttäuschung schien bei O’Sullivan auszubleiben. Noch während der umkämpften Partie gegen Ding (10:13) hatte er immer wieder frustrierte Gesten gezeigt und unter anderem lustlos die Zunge raushängen lassen. «Ich habe nie Rekorde gejagt. Und ich werde auch nicht mit dem Snooker aufhören, weil ich die Turniere nicht gewinne», sagte er.
In dem Spiel gegen Ding wechselten sich einfachste Fehler beim Lochen mal wieder mit der Genialität ab, für die er bekannt ist. «The Rocket», wie er genannt wird, erzielte in weniger als fünf Minuten über 100 Punkte, indem er in rekordverdächtigem Tempo abwechselnd Rot und eine andere Farbe lochte. Am nächsten Tag spielte er eine 146 – 15 Mal Rot, 14 Mal Schwarz und 1 Mal Pink. Was einmal mehr Diskussionen erzeugte, warum O’Sullivan nicht das Maximum von 147 Punkten anstrebte.
«Sagen wir es so: Ich glaube nicht, dass er 110 Prozent dafür gegeben hat», sagte der siebenmalige Weltmeister Stephen Hendry, mittlerweile TV-Experte. Der 41 Jahre alte O’Sullivan hatte das Maximum schon einmal absichtlich liegen gelassen, weil ihm das Preisgeld dafür nicht hoch genug war.
Der Engländer bleibt trotz der Niederlage die Messgröße im Snooker. Das wissen auch Ding, der englische Weltmeister Mark Selby, der viermalige Champion John Higgins aus Schottland oder der Engländer Stuart Bingham, die allesamt im Halbfinale von diesem Donnerstag an stehen. Selby dominiert sportlich seit geraumer Zeit die Snooker-Szene und kann den dritten WM-Titel in vier Jahren einfahren. Und doch blickt die Elite weiter zu Ronnie auf, der letztmals 2013 Weltmeister wurde, die Szene aber noch immer als schillernde und polarisierende Figur prägt.
Dabei fiel O’Sullivan zuletzt mehr durch Grabenkämpfe mit dem Weltverband auf als mit sportlichen Höchstleistungen. Er lasse sich nicht weiter tyrannisieren, betonte er und bezog sich auf Sanktionen, die ihm der Weltverband wegen seiner verbalen Attacken gegen Offizielle androhte. Monatelang antwortete der fünfmalige Weltmeister einsilbig und machte sich einen Spaß daraus, Medien und den Weltverband zu narren. Den Gipfel fand der Zwist, als O’Sullivan zu Beginn der WM sagte: «Ich habe Barry Hearn angerufen und ihm gesagt, dass ich mit ihm und seinem Verein durch bin.»
Dass ihn die Dauerfehde mit den Verantwortlichen um Verbandsboss Hearn beeinträchtigt habe, kann sich Snooker-Experte Rolf Kalb nicht vorstellen. «Mit solchen Situationen kann er sehr gut umgehen», sagt der Eurosport-Kommentator. Für ihn war das frühzeitige Aus O’Sullivans auch nicht überraschend. «Seine Leistungen in den vergangenen Monaten deuteten nicht an, dass er zu den Top-Kandidaten gehört», erklärte Kalb: «Er hätte sich erheblich steigern müssen, und das hat er nicht geschafft.»
(dpa)