Köln – Beflügelnd oder leistungsmindernd? Kann Sex vor der WM-Partie den deutschen Nationalspielern einen positiven Kick geben oder sollte eher Enthaltsamkeit die Devise sein?
Bevor die Weltmeisterschaft an diesem Freitag in Russland startet, raten Experten, das Team von Bundestrainer Joachim Löw nicht zu einem wochenlangen Mönchs-Dasein zu verdonnern. Allerdings: Ein gewisses Regelwerk sei ratsam. Auf das Maß, das Wann und Wie könne es durchaus ankommen. Die DFB-Auswahl rund um Mats Hummels, Thomas Müller, Jérome Boateng, Mario Gomez oder Toni Kroos hat ihre erste WM-Begegnung am 17. Juni und hofft beim Finale am 15. Juli den WM-Titel zu verteidigen.
«Sex ist an sich immer gesund, aber natürlich haben wir es mit körperlicher Anstrengung zu tun», sagt Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln. Was passiert? «Der Kreislauf fährt sich hoch, Muskeln werden beansprucht, eine Stoffwechsel-Aktivierung tritt ein und ein Energieverbrauch.» Die Hormone mischen mit. «Zu Beginn wird vor allem Testosteron ausgeschüttet und während des Prozesses auf einem hohen Niveau gehalten. Dann verschwindet das Testosteron und Melatonin und Serotonin übernehmen – die Hormone, die uns entspannen.» Der Daumen geht nach oben.
«Körperliche Aktivität beim Sex in der Nacht vor einem großen Spiel ist überhaupt kein Problem, wenn es nicht gerade eine wahnsinnige Orgie darstellt», betont der Leiter des Zentrums für Gesundheit durch Sport und Bewegung. Aber Achtung: «Der Schlaf als wichtigste Regenerationsphase sollte nicht für Sex geopfert werden. Sex als Einschlafhilfe zu nutzen, ist okay. Vor einer WM-Partie ist eine Limitierung ratsam, also keine Ausdauerleistung.»
Der Sportpsychologe René Paasch bringt es auf eine einfache Formel: «Wenn man seine Frau oder Freundin lieb hat und alles ganz normal läuft, dann ist auch alles gut. Dann sollen die Jungs Jungs sein dürfen.» Die angeblich leistungsschwächende Wirkung von Sex auf Spitzensportler sei inzwischen durch Untersuchungen widerlegt, meint Paasch, der für den VfL Bochum tätig ist. Ein oder zwei Stunden vor dem Spiel sei Sex allerdings nicht ratsam. Aus psychologischer Sicht positiv zu sehen: ein intimes Zusammensein könne Stress und Nervosität abbauen. Also noch einmal Daumen hoch.
Froböse empfiehlt: Regelmäßige Kontakte zu den Partnerinnen sollten ermöglicht werden. Weiterer Tipp des Fitness-Experten: «Sex einfach ins Trainingsprogramm einbauen.» Eine gewisse Reglementierung hält er grundsätzlich für richtig: «Wir haben junge Menschen vor uns. Die sind eben schon mal eher triebgesteuert als kopfgesteuert.»
Wenn das Nationalteam südwestlich von Moskau im noblem WM-Quartier «kaserniert» wird, müsse Prinzip sein – ebenso wie etwa bei Ernährungsfragen oder Alkohol: «Alles, was auf dem Platz negative Auswirkungen haben könnte, sollte beschränkt werden. Alles muss der Leistung untergeordnet werden, dafür werden die Nationalspieler ja auch bezahlt.» Zugleich ist Froböse zufolge zu beachten: Zuneigung, körperliche Wärme, Kuscheln könnten Ventile sein bei starker Anspannung und könnten auch helfen im Falle eines «Lagerkollers».
Paasch rät, den Ball in der Debatte flach zu halten. «Jeder Profisportler weiß doch selbst ganz genau, worum es geht.» In der Regel reisen Familien und Frauen bei wichtigen Turnieren mit und sind in der Nähe, weiß Paasch. «Erfahrene und moderne Trainer wie Jogi Löw legen viel Wert auf Zwischenmenschliches, lassen den Spielern ausreichend Freiraum und vertrauen ihnen.»
Froböse kritisiert, dass Sexualität im Zusammenhang mit Leistungssport noch immer ein Tabuthema sei – völlig unverständlich, wie er findet. «Viele Spitzensportler sind junge Leute, und Sex gehört zu unserer Biologie dazu.»
(dpa)