«Selbstherrlich»: Matthäus rechnet mit DFB-Elf und Löw ab

Kasan – Nach dem historischen Vorrunden-Aus bei der WM in Russland hat Rekordnationalspieler Lothar Matthäus der DFB-Auswahl Selbstüberschätzung und Bundestrainer Joachim Löw falsche Personalentscheidungen vorgeworfen.

Schon in der Vorbereitung habe es viele Probleme und schlechte Testspiele gegeben, schrieb der Weltmeister von 1990 in einem Gastbeitrag für die «Bild»-Zeitung. «Und was ich in den drei Gruppenspielen auf dem Platz sah, hat diese Spaltung des Teams vollkommen bestätigt. Die Mannschaft war keine Einheit. Sie hat keine Leidenschaft gezeigt. Und viel schlimmer: Sie war selbstherrlich.»

Auch Löw stehe nun zurecht in der Kritik wegen seiner Kaderplanung. «Der Mannschaft fehlten Typen mit Ecken und Kanten wie Bayerns Sandro Wagner», kritisierte Matthäus, der mit der Nationalelf Bulgariens zuletzt vor sieben Jahren ein Team trainierte. Beim WM-Personal habe Löw auch nicht genügend Wert auf schnelle Spieler wie Leroy Sané gelegt, der beim englischen Meister Manchester City zum Stammpersonal zählt, aber überraschend nicht mit nach Russland fahren durfte.

An einen Rücktritt Löws glaubt Matthäus nach eigenen Worten zwar nicht. Der vor dem Turnier verpasste Umbruch sei aber spätestens jetzt unumgänglich. «Die Mannschaft muss rund um Führungsspieler wie (Manuel) Neuer und (Toni) Kroos mit neuen Gesichtern aufgebaut werden», forderte der 150-malige Nationalspieler. Junge Talente wie Niklas Süle, Tobias Werner und Leon Goretzka gelte es zudem viel stärker einzubinden.

In einem Kommentar für die britische «Sun» zog Matthäus das Fazit: «Keine Anführer, keine Leidenschaft, keine Einstellung und die falsche Mannschaft.» Seine Philippika veröffentlichte er unter dem Titel: «Ende einer Generation.»

Auch der langjährige Bundesliga-Trainer Felix Magath ist entsetzt vom blamablen Vorrunden-Aus der DFB-Elf, nimmt aber Bundestrainer Löw in Schutz. «So ein kolossales Versagen hatte ich mir nicht vorstellen können. Der Auftritt unserer Nationalmannschaft war so desolat, dass es nicht damit getan ist, einen Schuldigen zu suchen», schreibt der 64-Jährige auf seiner Facebook-Seite. «Der Auftritt wirft eher die Frage auf, ob das, was wir spielen, das ist, was wir nur können.»

Die Nationalmannschaft sei die Hoffnung gewesen, wieder einen Titel gewinnen zu können. «In unserem Klubfußball haben wir schon einige Jahre keine internationalen Titel mehr vorzuweisen. Nun ist offenbar auch die Nationalmannschaft in diesem Abwärtstrend», stellte Magath fest. «Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren: im Fußball und speziell in der Nationalmannschaft wirken mittlerweile ähnliche Fehlentwicklungen wie in unserer Gesellschaft.»

Der frühere Profi des Hamburger SV war 1982 und 1986 mit der DFB-Auswahl Vize-Weltmeister und bestritt 43 Länderspiele. Als Trainer war er zweimal mit dem FC Bayern München und einmal mit dem VfL Wolfsburg deutscher Meister. Zuletzt arbeitete er in China bei Shandong Luneng.

Weltmeister Guido Buchwald sieht trotz des Scheiterns des DFB-Teams keinen Grund für einen Wechsel des Bundestrainers. Löw habe «in zwölf Jahren einen hervorragenden Job gemacht. Bei aller Enttäuschung muss man jetzt in Ruhe analysieren, dann sollte es mit ihm weitergehen», sagte der 57-Jährige dem «Kicker». Als Grund für das erstmalige Ausscheiden einer DFB-Auswahl in der WM-Gruppenphase nannte Buchwald mangelnden Teamgeist und mentale Schwächen.

Thomas Berthold, wie Buchwald 1990 mit der deutschen Mannschaft Weltmeister, forderte eine intensive Aufarbeitung der WM-Blamage von Russland. «Der DFB und die Bundesliga müssen sich jetzt hinterfragen. Zum Beispiel, ob es sinnvoll war, vor der WM langfristig mit Jogi Löw zu verlängern», sagte Berthold dem «Kicker». Der Bundestrainer habe bei der Personalauswahl keine glücklichen Entscheidungen getroffen. «Auf Sané und mit Petersen oder Wagner auf einen weiteren Stürmer zu verzichten war riskant und hat sich letztlich als Fehler erwiesen», sagte der 53-Jährige.

Der einstige Fußball-Weltmeister Paul Breitner bezeichnete den Auftritt der DFB-Auswahl beim Turnier in Russland als Altherrenfußball. Breitner warf Bundestrainer Joachim Löw vor, keine feste Mannschaft und keinen Plan gehabt zu haben. Löw müsse aber selbst entscheiden, ob er weitermachen wolle.

Mit Blick auf das 0:2 gegen Südkorea schloss Breitner ausdrücklich auch Torhüter Manuel Neuer in seine Kritik ein. Der einstige Bayern-Profi zeigte sich verwundert über Neuers Ausflug weit in die zweite Hälfte, mit dem der Kapitän das zweite Gegentor einleitete. «Das kann ich machen, wenn ich ein Tor brauche und dann in der letzten Minute bei einer Ecke nach vorne gehe. Damit jedoch um das zweite Tor geradezu zu betteln, das zeigt doch, wie kreuz und quer die Denke dieser ganzen Mannschaft geht», sagte Breitner. «Das ist doch kein Neuer in Normalform.»

Der frühere Nationalspieler Olaf Thon nannte eine Reihe von Störfaktoren auf dem Weg zur WM als Ursache für das frühe Aus. «Es gibt vieles aufzuarbeiten. Im Moment habe ich den Eindruck: Wir brauchen einen radikalen Neuaufbau», sagte der 52-Jährige.


(dpa)

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