Berlin – Julian Nagelsmann hat keine Lust mehr auf den Spektakel-Fußball seiner Hoffenheimer Schöngeister. «Ich würde einfach gern mal ein dreckiges 1:0 sehen», gestand der TSG-Trainer nach dem verspielten Bundesliga-Sieg beim 3:3 in Berlin.
Vor dem Champions-League-Heimspiel gegen Schachtjor Donezk steigerte sich der Coach in seinem Ärger in eine Grundsatz-Kritik am Leichtsinn seiner Schützlinge bei der Abwehrarbeit. «Die Haltung zur Defensive, die beginnt zwischen den Ohren», erklärte der 31-Jährige und ätzte über das «schöngeistige Spiel» seines Teams.
Nagelsmanns pointierte Brandrede gründet auch in seiner Furcht, wegen der defensiven Naivität der Hoffenheimer gegen Donezk schon die letzte Minimalchance auf das Weiterkommen in der Königsklasse einzubüßen. Wie bei der Hertha glänzten die Kraichgauer auch in ihrer Premierensaison auf Europas größter Fußball-Bühne oft mit Spielwitz und tollen Toren – waren am Ende aber stets sieglos und enttäuscht über das Ergebnis. «Ich habe schon 15 Mal gehört, wie toll das ist, unsere Spiele anzuschauen», sagte Nagelsmann in Berlin säuerlich. Sein Fazit: «Der Glanz hat heute nicht gereicht, um zu gewinnen, also muss man die Haltung im Kopf überdenken.»
Seine Profis gaben sich durchaus einsichtig. «Hergeschenkt» habe man den fünften Liga-Sieg in Serie, bekannte Abwehrspieler Ermin Bicakcic, dessen Kopfballtor zum 3:1 in der 55. Minute am Samstag wie eine Vorentscheidung wirkte. Kerem Demirbay hatte die Gäste nach nur 44 Sekunden in Führung gebracht, Andrej Kramaric schon in der zehnten Minute auf 2:0 erhöht. «Wenn du auswärts drei Tore machst, bei aller Liebe, dann darfst du keine zwei Punkte mehr hergeben», sagte Demirbay. «Wir müssen es von vorne bis hinten besser verteidigen», analysierte Bicakcic ganz im Sinne seines Trainers.
Weil die Hoffenheimer genau das nicht taten und die Hertha vor ihrer Mitgliederversammlung mit aller Macht die dritte Niederlage nacheinander vermeiden wollte, mussten die Gäste am Ende sogar froh über einen Zähler sein. «Wenn man es ganz nüchtern sieht, war es nicht so ein megaverdienter Punkt für uns», grantelte Nagelsmann.
In der Tat hätten die Berliner angesichts der Sorglosigkeit der Gäste durchaus noch mehr Treffer erzielen können als die drei durch Vedad Ibisevic (13.), Mathew Leckie (71.) und Valentino Lazaro (87.). Insgesamt 23 Torschüsse, ein Bestwert für die Hertha in der Amtszeit von Trainer Pal Dardai, ließen die Hoffenheimer zu. Der Fokus «auf absoluten und maximalen Erfolg» sei «noch nicht in allen Rüben drin», bemängelte Nagelsmann. Diese Qualität fehle dem Bundesliga-Sechsten zur Spitzenmannschaft auf nationaler und internationaler Ebene.
«Wir kreieren sehr viel Chancen, wir machen sehr viele Tore, aber lassen einfach zu viel liegen, um zu den Topteams nach oben aufzuschließen», fasste Mittelfeld-Lenker Demirbay zusammen und mahnte: «Wir müssen schnellstens umdenken und den Fokus auf Defensive legen.» Ihre Lernfähigkeit könnten die Hoffenheimer nun mit einem Sieg gegen das Gruppen-Schlusslicht Donezk beweisen. Schon ein dreckiges 1:0 würde die Europa-League-Zwischenrunde sichern und die kleine Chance auf das Achtelfinale der Champions League erhalten.
(dpa)