Schlierenzauers langer Weg zurück in den Skisprung-Zirkus

Innsbruck – Als Gregor Schlierenzauer im Alter von 16 Jahren begann, im Weltcup Siege einzufahren und der weit erfahreneren Konkurrenz davon zu springen, zählte für den jugendlichen Tiroler nur eins: Erfolg, um jeden Preis. 

Aber die Definition von Erfolg hat sich für der Tiroler massiv geändert. Eine schwere Sinnkrise und ein Beinahe-Karriereende später hat Schlierenzauer gelernt, dankbar zu sein. Zum Beispiel, dass er noch im Skisprung-Weltcup dabei sein darf. «Für mich ist Erfolg, wenn ich am Abend im Bett liege, grinse und sage: das und das war heute für mich ein sehr erfüllender Moment und sehr erfolgreich», sagte Schlierenzauer.

Das können auch schon mal ein 13. oder ein 19. Platz sein, wie sie der Weltcup-Rekordsieger zum Start der 66. Vierschanzentournee in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen eingefahren hat. Am Bergisel in Innsbruck wurde der österreichische Skisprung-Held früher gefeiert wie ein Popstar, die Erwartungshaltung an «Schlieri» war in der Skisprung-Szene immens – und führte zu weitreichenden Problemen.

«Wenn man dieser Besessenheit nachgibt und stets nach dem immer Höher und Schneller strebt, ist das für den Erfolg sehr gut. Doch gleichzeitig ist man im Hamsterrad und in der Blase gefangen und verliert vielleicht manchmal den Blickwinkel nach außen», sagte Schlierenzauer. Der heute 27-Jährige fragt: «Wer will einem dann sagen, was im Leben sonst noch wichtig ist?» Vor zwei Jahren stieg er nach dem Bergisel-Springen aus dem Weltcup aus, es folgten ein Kreuzbandriss und ein ganz langer Weg zurück.

Dieser Weg hat ihn offenbar verändert, wie auch sein Teamkollege Stefan Kraft betont. «Er ist auch älter geworden und sieht manche Dinge anders. Dass es auch etwas anderes als Skispringen gibt. Er ist einfach relaxter und abgebrühter», sagte der Doppel-Weltmeister über seinen Landsmann, mit dem er seit einigen Jahren im Winter von Station zu Station reist.

Schlierenzauer, der am Sonntag 28 Jahre alt wird, ist körperlich und mental voll da, er steckt voller Energie, wie er während der Tournee selbst versichert. «Teilleistungen haben schon gezeigt, dass ich auf einem guten Weg bin. Aber im Wettkampf, wenn das Rennpferd raus will und ich noch einen Schritt dazu machen will, geht eher der Schuss nach hinten los», sagte der Stubaier der Nachrichtenagentur APA. Um seinen Leistungsstand zu beschreiben, verglich er sich mit einem  Fußballer: «Ich muss derzeit einen Elfmeter mit 80 Prozent schießen. Und das ist natürlich kein gutes Gefühl.»

Schlierenzauer ist Tournee-Sieger, Skiflug-Weltmeister, Weltmeister und Team-Olympiasieger. Was dem einstigen Ausnahme-Athleten, der 53 Weltcupsiege in seiner Vita stehen hat, noch fehlt, ist eine olympische Goldmedaille im Einzel, die in gut fünf Wochen in Pyeongchang aber auch nicht greifbar scheint. «Wenn es sich nicht ausgeht und man nicht auf Toplevel springen kann, dann geht die Welt auch nicht unter», sagte Schlierenzauer, der danach als nächstes Ziel die Heim-WM in Seefeld 2019 anpeilt.

Nachdem er wieder Freude am Sport entwickelt hat, kann sich der Tiroler auch eine Fortsetzung seiner Karriere bis zu den Olympischen Spielen 2022 in Peking vorstellen. «Ich fühle mich zur Zeit sehr, sehr gut, mir macht es irrsinnig Spaß. Ich habe nichts zu verlieren und tue alles für mich, und das taugt mir sehr», sagte der Österreicher. Das historische Tief der ÖSV-Adler scheint derzeit kaum einer so gelassen nehmen zu können wie Schlierenzauer.


(dpa)

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