Bordeaux (dpa) – Am Tag nach der demütigenden Niederlage verschanzte sich EM-Titelverteidiger Spanien in seinem Wellness-Hotel auf der Île de Ré. Kein Training, keine Pressekonferenz. Wer – und vor allem wie – hätte auch jemand diesen Rückschlag erklären sollen?
Tagelang hatten Kapitän Sergio Ramos und seine Kollegen Elogen aus der Heimat über «La Furia Roja» (die rote Furie) lesen können. Und nun das: «Spanien bezieht eine schallende Ohrfeige», wie die Tageszeitung «El País» nach dem überraschenden 1:2 gegen Kroatien titelte. Der Gruppensieg ist futsch, jetzt geht es ausgerechnet gegen den früheren Angstgegner Italien.
«Mamma mía», titelte «Super Deporte» mit einem Bild von Ramos nach seinem verschossenen Foulelfmeter. In Italien wiederum hatte die «Gazzetta dello Sport» mit Blick auf den nächsten Kontrahenten die dicke Schlagzeile: «Mamma, La Spagna!» Der frühere Wolfsburger und Dortmunder Bundesliga-Profi Ivan Perisic hatte in Bordeaux mit seinem Siegtor in der 87. Minute die Spanier zurück auf den Boden geholt.
Es war die erste Niederlage bei einer EM für die Iberer seit zwölf Jahren oder 14 Spielen. Trainer Vicente del Bosque stand nach dem späten Schock immer noch der Schweiß auf der Stirn, als er längst im klimatisierten Pressekonferenzraum saß. «Das ist nicht der Weg, den wir uns gewünscht haben», räumte der 65-Jährige ein und mahnte: «Wir dürfen jetzt nicht den einen oder anderen Schuldigen suchen. Schuld sind wir alle.»
Den einen oder anderen Sündenbock hätte del Bosque leicht ausmachen können: Kapitän Ramos zum Beispiel, der im letzten Gruppenspiel nicht nur einige Male patzte, sondern sich auch noch wie selbstverständlich den Ball vor dem Strafstoß schnappte – und in der 72. Minute an Kroatiens Schlussmann Danijel Subasic scheiterte. «Ich verschieße lieber in einem Gruppenspiel als im Halbfinale», meinte Ramos später nonchalant.
Del Bosque aber bewies auch in der schweren Stunde Stil und erklärte ruhig: «Es gibt eine Reihe von Schützen und der mit dem größten Selbstvertrauen schießt. Das ist eine Spielsituation, in die sich der Trainer nicht einmischen sollte.»
Zudem ist in Spanien wieder die Torhüter-Debatte entflammt: David de Gea sah beim späten Gegentor nicht gut aus und machte auch sonst keinen sehr souveränen Eindruck. Der 25-Jährige von Manchester United hatte trotz Skandal-Schlagzeilen Rekordnationalspieler Iker Casillas verdrängt. Del Bosque verteidigte auch de Gea: «Er war nicht übermäßig beschäftigt, wir können ihm die Tore nicht ankreiden. Das erste war ein Konter, das zweite auch.»
Die Spanier konnten ihrerseits wiederum die Räume nicht nutzen, die ihnen die Kroaten immer wieder boten. Und der bis dahin so herausragende Stratege Iniesta verschleppte unerklärlicherweise immer wieder das Tempo. Und so scheiterte der Favorit und bekommt es nun am Montag (18.00 Uhr) in Saint-Denis mit dem wiedererstarkten Ex-Weltmeister Italien zu tun – eine Neuauflage des EM-Endspiels von 2012. Damals fegte del Bosques Team allerdings die Squadra Azzurra mit 4:0 vom Platz.
Wenn sich Spanien auch diesmal durchsetzen sollte, könnte es im Viertelfinale am 2. Juli in Bordeaux zu einem Aufeinandertreffen mit Deutschland kommen. «Eine verdiente Niederlage schickt Spanien auf den schwierigen Weg: die Strecke der Meister», schrieb die Sportzeitung «Marca» ernüchtert.
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(dpa)