Saarbrücken-Coach Kwasniok will «Sport-Geschichte» schreiben

Völklingen – Als erster Viertligist steht der 1. FC Saarbrücken im Halbfinale des DFB-Pokals. Seit drei Monaten haben die als Drittliga-Aufsteiger feststehenden Saarländer kein Spiel mehr absolviert.

Warum Trainer Lukas Kwasniok vor dem Halbfinale gegen Bayer Leverkusen am Dienstag (20.45 Uhr/ ARD und Sky) trotzdem auf eine weitere Sensation hofft, erklärt er im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur.

Herr Kwasniok, haben sie am Samstag das Spiel zwischen Leverkusen und dem FC Bayern mit der Mannschaft im Quarantäne-Hotel verfolgt?

Lukas Kwasniok: Natürlich. Wir haben sogar extra den Trainingsplan geändert. Den nächsten und den übernächsten Gegner in einem Spiel beobachten zu können, ist schon eine geile Sache. (lacht)

Was war die Haupt-Erkenntnis?

Kwasniok: Gut, dass wir die Bayern erst im Finale haben. (lacht)

Der 1. FC Saarbrücken hat seit drei Monaten nicht gespielt, bereitet sich seit sechs Wochen auf ein einziges Spiel vor. Wie schwer war es, die Spannung zu halten?

Kwasniok: Wir hoffen ja, dass es zwei Spiele werden. Wir hatten sicher die längste Vorbereitung, die je eine Mannschaft auf ein Spiel hatte. Mit leichten Schwankungen hat das aber gut geklappt.

Leidet die Besonderheit dieses Spiels unter den Umständen?

Kwasniok: Natürlich hätten wir gerne unsere Zuschauer dabei gehabt. An der Wertigkeit des Spiels hat sich aber nichts geändert. Wir haben als erster Viertligist im Halbfinale Vereins- und Fußball-Geschichte geschrieben. Jetzt wollen wir Sport-Geschichte schreiben.

Das Stadion in Völklingen mit seinen ungewöhnlichen Bedingungen galt als Erfolgs-Pfand in den Runden zuvor. Wird es ohne Zuschauer für die Leverkusener Profis noch ungewöhnlicher? Oder ist das Geisterspiel doch ein größerer Nachteil für den FCS?

Kwasniok: Wir haben unseren zwölften Mann verloren. Wir müssen es mit elf gegen elf richten. Von daher ist es erst mal ein Nachteil für uns. Aber die Rahmen-Bedingungen sind vielleicht noch ein bisschen ungewöhnlicher. Vielleicht wird deshalb der ein oder andere Leverkusener nicht an seine Leistungsgrenze stoßen können. Nicht, weil er nicht will, sondern weil die Psyche ihm im Weg steht.

Sie konnten Leverkusen seit Wochen genauestens studieren, Bayer sie umgekehrt aber gar nicht. Ist das Ihr einziger Vorteil?

Kwasniok: Das ist sicher ein Vorteil. Aber nicht unser einziger. Leverkusens größter Vorteil ist einfach die Qualität. Wir haben viele kleine Vorteile. Das Stadion, die Rahmenbedingungen, die Außenseiter-Rolle oder die Tatsache, dass Leverkusen drei Tage vor dem Spiel gegen uns gegen die Bayern spielen musste. Das sind Profis und es ist ein Halbfinale, aber sie haben auch den Fokus auf der Champions League. Vielleicht rede ich mir das alles nur ein, aber ich will auch dran glauben. Und ich tue es.

Sie glauben also wirklich an eine weitere Sensation?

Kwasniok: Wir bleiben demütig, aber selbstbewusst. Von 100 Spielen gegen Leverkusen verlieren wir 99. Aber wir wollen den 9. Juni zum Feiertag im Saarland machen. Unser Motto lautet: «Lieber widerlich als wieder nicht.» Letzteres, weil wir bei der vierten Halbfinal-Teilnahme endlich ins Endspiel wollen. Und «widerlich» im Sinne von schlitzohrig, ungemütlich, aber fair. Wenn man Sportgeschichte schreiben will, muss man mit den Waffen kämpfen, die man hat. Wir wollen, dass die Leverkusener nach der Saison sagen, dass die Saarbrücker die widerlichste Mannschaft waren, gegen die sie spielen mussten.

Mit welcher taktischen Vorgabe werden sie das Spiel angehen?

Kwasniok: Das wird sicher eher ein Schlachtplan als ein Matchplan. Wir gehen so rein, als würden wir 1:0 führen. Leverkusen muss ein Tor schießen, wir müssen es verteidigen. Leverkusen will auf keinen Fall ins Elfmeterschießen. Denn sie wissen, wie wir in der letzten Runde weitergekommen sind. (Im Elfmeterschießen gegen Düsseldorf mit vier gehaltenen Elfmetern von Daniel Batz, d. Red.) Dann schießen sie gegen Batzi, gegen die Gedanken an die Runde davor und gegen die Angst vor der Blamage.

Im Vorfeld des Viertelfinales gegen Düsseldorf haben sie bei der Gegner-Analyse gesagt, die Fortuna betreibe teilweise «eine andere Sportart». Was sagen sie nun bei Leverkusen mit Kai Havertz?

Kwasniok: Ich hoffe erst einmal, dass er fit wird bis Dienstag. Denn wir würden uns wirklich freuen, wenn wir einen der zukünftigen Weltfußballer live bei uns erleben könnten. Er legt eine Genialität an den Tag, die unglaublich ist. Am Ball, mit seinem Spielverständnis, mit seiner ganzen Aura. Vielleicht haben wir das Glück, dass er den Ball diesmal knapp am Pfosten vorbei schießt.

Inwiefern ist die Fitness nach der langen Auszeit ein Problem?

Kwasniok: Grundsätzlich schon. Aber in einem Spiel spielt das keine große Rolle. Da kommt nach 60 Minuten das Adrenalin dazu und pusht dich durch das Spiel. Ich glaube sowieso eher, dass Leverkusen versuchen wird, uns in den ersten 20 Minuten den Atem abzuwürgen. Peter Bosz wird sicher All-in gehen, weil er weiß, dass sie so viel besser sind. Das finde ich geil.

Wie schätzen sie Ihren Trainer-Kollegen ein?

Kwasniok: Ich kenne ihn noch nicht persönlich. Aber für mich ist er einer der meistunterschätzten Trainer Europas. Er hat eine brutale Spiel-Philosophie und eine richtig gute Aura. Er ist offenbar sehr herausfordernd mit den Spielern, aber dennoch ein sehr angenehmer Mensch. Er geht eigene Wege und hat den Mut, guten Offensiv-Fußball zeigen zu wollen.

Sie auch?

Kwasniok: Grundsätzlich ja. Aber am Dienstag wäre das Hochmut statt Mut.

Inwiefern hat der feststehende Aufstieg in der langen Pause über Motivationslöcher geholfen?

Kwasniok: Es war irgendwann absehbar, dass die Liga abgebrochen wird. Als dann klar war, dass wir aufsteigen, war die Erleichterung dennoch sehr groß. Und der Aufstieg ist auch nicht weniger wert, weil er aus einer Abbruch-Saison resultiert. Ein Skispringer darf sich auch zurecht freuen, wenn nach dem ersten Sprung abgebrochen wird. Und ein Formel-1-Fahrer beim Sieg nach Renn-Abbruch ebenso. Er war eben bis dahin der beste.

Es gab Diskussionen, einige Spieler, Funktionäre und Trainer hätten sich bei der Feier nicht an die Hygiene-Vorgaben gehalten.

Kwasniok: Da wurde aus einer Mücke ein Elefant gemacht. Wenn es mittlerweile ein Fehler ist, menschlich zu sein, bin ich lieber unnormal. Wir sind gerade aus der Geschäftsstelle gekommen und zufällig in ein Autorkorso geraten. Wir haben dann allein schon aus Höflichkeit 20 Minuten am Rande gestanden, haben vielleicht mal angestoßen. Zu einem Zeitpunkt, als es im gesamten Saarland drei oder vier Neuinfektionen gab. Es ist alles gesittet zugegangen, außer dass der Abstand vielleicht nicht immer genau 1,50 Meter betragen kann. Aber es gab keine Jubel- oder Umarmungs-Orgien. Und es waren auch alle Tests bei uns negativ.

Zuletzt: Wie verrückt erleben sie diese Zeiten? Sie haben den Job im Dezember angetreten. Im September werden Sie wahrscheinlich sechs Pflichtspiele absolviert haben.

Kwasniok: Es war ein außergewöhnliches Weihnachts-Geschenk, hier unterschreiben zu dürfen, mit drei Spielen aufzusteigen und mit zwei Spielen im Pokal-Halbfinale zu stehen. Viele Umstände waren natürlich auch herausfordernd. Aber ich kann und will mich trotzdem nicht beschweren. Und ich hoffe natürlich, dass es am Ende sieben Spiele sein werden. (lacht)

ZUR PERSON: Lukas Kwasniok (38) ist wie Lukas Podolski im polnischen Gleiwitz geboren. 1988 kam er mit seiner Familie nach Deutschland. Er absolvierte 18 Junioren-Länderspiele, beendete seine Profi-Karriere bei Arminia Bielefeld aber verletzungsbedingt früh. Mit 26 wurde er Trainer, arbeitete vier Jahre als Nachwuchscoach beim Karlsruher SC und trainierte von Dezember 2018 bis September 2019 den Drittligisten Carl-Zeiss Jena, wo er auch lange Zeit Sportdirektor war. Seit 1. Januar 2020 ist er Chefcoach des 1. FC Saarbrücken.


(dpa)

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