Berlin – Thomas Röhler will kein Geister-Meister sein – denn von Wettkämpfen vor leeren Rängen hält der Speerwurf-Olympiasieger aus Jena überhaupt nichts.
Um wenigstens die erhoffte «Late season» (späte Saison) in der internationalen Leichtathletik zu retten, plädiert der Thüringer für ein Trainingsfenster im Juni und Juli. «Es geht generell um zwei Monate, weil wir ja nicht wissen, wann dieser Tag X ist. Also: Trainingsstätten im Juni und Juli wieder öffnen, damit dann im August und September Wettkämpfe und Meetings wieder möglich sind! Weltweit!», sagte Röhler der Deutschen Presse-Agentur zu Planspielen bei Verbänden und Athleten.
Die am 23. April erfolgte Absage der für Ende August geplanten EM in Paris ist für den Europameister von 2018 «leider nur logische Konsequenz der aktuellen und erwarteten Lage in Frankreich und Europa. Sehr gern wäre ich das Projekt Titelverteidigung in 2020 angegangen», meinte Röhler, für den nun Olympia in Tokio immer stärker in den Fokus rückt. Mit dem EM-Aus «sollte die Planung der Late season und des Trainings mit Fingerspitzengefühl in Richtung 2021 gehen», sagte der Weltklasse-Speerwerfer.
Sicher gilt das auch für Zehnkampf-Weltmeister Niklas Kaul, denn der Mainzer hat dieses Jahr praktisch schon abgehakt. «Ich habe keine große Hoffnung, dass wir noch großartige Wettkämpfe haben werden diese Saison», sagte der 22-Jährige im ZDF-«Morgenmagazin».
Um zu retten, was (vielleicht) noch zu retten ist, habe man in der Athletenkommission von World Athletics «über alle Disziplinen hinweg einen Konsens gefunden», sagte Rio-Olympiasieger Röhler: «Weltweit müssen über zwei Monate Hallen und Trainingsgelände zugängig sein, um erst mal Verletzungsfreiheit wieder zu gewährleisten. Denn ohne regelmäßiges Training ist das Risiko, sich gleich beim ersten Wettkampf zu verletzen, enorm hoch.» Bislang seien dies aber nur «Mutmaßungen und Hoffnungen – so ein Szenario wäre die Idealsituation».
Olympia in Tokio ist auf 2021 verschoben, die Weltmeisterschaften in Eugene/USA wurden von 2021 auf Juli 2022 verlegt, schon sieben Diamond-League-Meetings bis Ende Juni sind abgesagt: Auch die Leichtathletik geht aufgrund der Corona-Pandemie am Stock.
Den Tag X erklärte Röhler so: «Wenn 80 Prozent der Athleten Zugang zu ihrer gewohnten Trainingsumgebung haben – dann tickt die Uhr. Und dann sollten etwa anderthalb bis zwei Monate bis zum ersten Wettkampf vergehen», sagte er. «Die Meetingdirektoren brauchen ja diese Zeit zur Vorbereitung.» Und noch viel wichtiger: Internationale Flugreisen müssten wieder uneingeschränkt möglich sein.
Der Weltverband World Athletics hat den nationalen Verbänden das Wochenende 8./9. August als Termin für Meisterschaften empfohlen. Der DLV überdenkt gerade verschiedene Optionen, selbst Geister- Meisterschaften, also «eine DM ohne Zuschauer mit reduzierter Anzahl an Mitarbeitern», schloss der Verband Mitte April nicht aus.
Ursprünglich waren die Titelkämpfe als Olympia-Qualifikation für Ende Juni in Braunschweig geplant. Angesichts der Krise müsse man überlegen, «ob man anstatt des klassischen Systems durchaus auch einige Experimente wagt», meinte DLV-Generaldirektor Idriss Gonschinska im ZDF.
Sprinten, springen und werfen vor leeren Rängen? Siegerehrungen in verwaisten Stadien? «Von den Geisterwettkämpfen halte ich persönlich nichts! Weil die von der eigentlichen Definition des Sports weit entfernt sind», sagte Röhler. «Wir wissen doch alle, dass das nicht der Sport ist, der sich Wettkampf nennt. Für mich ist Sport ohne Zuschauer kein Wettkampf!»
Doch es gibt eine Ausnahme: Die in der Diamond League für den 11. Juni in Oslo geplanten «Bislett Games» sollen als alternativer Wettbewerb, als «Impossible Games» (unmögliche Spiele), firmieren. Die Organisatoren wollen Norwegens Star Karsten Warholm, den zweifachen Weltmeister über 400 Meter Hürden, einen Weltrekordversuch über 300 Meter starten lassen. Der schwedische Weltrekordler im Stabhochsprung, Armand Duplantis, werde im Stadion gegen Norwegens Sondre Guttormsen antreten. Beide sollen sich zudem mit Olympiasieger Renaud Lavillenie messen, der dann auf seiner Anlage zuhause in Frankreich springt.
(dpa)