Rio de Janeiro (dpa) – Hier haben sie zu tausenden jede Woche die Salzsäcke hochgeschleppt. Sklaven aus Westafrika, die nach langer Fahrt, eingepfercht auf engstem Raum, auf Galeeren in Rio de Janeiro gelandet waren. Tausende kamen schon tot in der Atlantikstadt an.
Damals waren hier Küstenfelsen, in diese wurden Stufen gehauen, oben war der Salzmarkt. Heute ist hier kein Pier mehr, die Stadt hat sich einige hundert Meter weiter ins Meer hinein gefressen, aber die Felstreppe ist noch immer da. Doch das Sklavenkapitel wird verdrängt. Kaputte Hinweistafeln, eine heruntergekommene historische Stätte.
Quasi um die Ecke ist der schicke Olympiaboulevard, der «wunderschöne Hafen», wie die grundrenovierte Gegend mit Museen und Straßenbahn am Meer entlang getauft wurde. Dass hier 1996 Reste vieler toter Sklaven gefunden wurde, erfährt der Besucher nicht – mehrere tausend Menschen sollen in der Hafengegend verscharrt worden seien. Es gibt zwar in der Nähe eine Gedenkstätte, die an den «Friedhof der neuen Schwarzen» erinnert und ein kleines, kaum zu findendes Museum an einer Kirche.
Zu Olympia soll lieber das neue Rio glänzen. Wegweiser zu Erinnerungsorten des dunklen Kapitels? Fehlanzeige. Es sind eher private Initiativen wie «Afro Rio Walking Tour» und «Sou+Carioca», die auf Touren erinnern und verborgene Spuren zeigen. Sadakne Baroudi von Afro Rio Tours kritisiert: «Die archäologischen Stätten werden kaum erhalten.» Die Stadt kümmere sich um das Sklavenerbe nur, wenn wie 2011 bei Bauarbeiten für einen Abwasserkanal die Reste eines Sklavenmarktes gefunden werden.
Es sei ein harter Kampf gewesen, dass nicht alles wieder zubetoniert wird. Und dann sei da noch ein ganz anderes Problem: Schwarze Gemeinden seien besonders von Vertreibungen und repressiven Polizeieinsätzen im Vorfeld der Olympischen Spiele betroffen gewesen, vor allem werde versucht, sie von den bei Touristen beliebten Stränden wie in Copacabana fernzuhalten, so Baroudi.
Ausgerechnet dort, wo sich die Touristen am Olympiaboulevard im Zentrum tummeln, könnten – zubetoniert – noch Überreste toter Sklaven liegen. Merced Guimarães, Gründer des Instituts zur Erforschung und Erinnerung der Sklavengeschichte, kritisierte jüngst: «Ich bin nicht einverstanden, wie man mit der archäologischen Sicherung umgeht.»
An der «Pedra do Sal» sitzt Yohan, 26, Graffitikünstler. «Hier kommen kaum Touristen vorbei, vielen ist es auch zu gefährlich», meint er. Hier gibt es immer montags Straßensamba, ist eine Geburtsstätte des schwarzen Sambas in Rio. Es wimmelt von farbenfrohen Kunstwerken, einige eine Reminiszenz an die Sklavengeschichte. Mit einer Schablone sprüht er immer wieder «Mafia do Trocen» an die Wände, seine Kennung.
Ein Anwohner hat da keine Lust drauf. Er stürmt die Treppe hoch, außer sich vor Wut. «Ich mach das nicht mehr mit.» Wortgefecht. Der Mann geht, Yohan ruft hinterher, «geh mit Gott». Der Mann dreht sich um, stürmt zurück, schlägt nach Yohan und kann nur mühsam davon abgebracht werden, ihm einen Kinnhaken zu verpassen. Es ist das rauere Rio, aber auch das energiegeladene, Kreative, Ungeschminkte.
Das Rio, das eine Geschichte zu erzählen hat, die lieber vergessen wird. Brasilien im 16. und 17. Jahrhundert: Die Portugiesen bringen aus ihren Kolonien in Afrika hunderttausende Sklaven hierhin, Rio de Janeiro wird zeitweise der größten Sklavenmarkt der Welt. Genau hier.
«Der Sklavenhandel ist ein Beispiel für die Einbindung des kolonialen Brasilien in die globalen Menschen- und Warenströme, die sich im 16. Jahrhundert herauskristallisierten», schreibt der Historiker Stefan Rinke. Die Reisezeit lag bei rund einem Monat, die Sterberate war hoch. Viele wurden zur Ausbeutung auf Zuckerrohrplantagen verkauft.
Der Anfang der Tortur bildet für viele der Ankunft am Sklavenhafen, ganz in der Nähe des Salzmarktes. Man muss suchen im Zentrum der Olympiastadt, um die Ruinen der Piers noch zu finden. Wo früher noch der Hafen war, ist heute ein etwas heruntergekommenes Stadtviertel.
«Über eine Million Sklaven sind hier in Brasilien angekommen», sagt Renata Vaz. Sie ist eine von 15 Touristenführern des Projekts «Sou+Carioca», das die eher unbekannten Ecken Rios zeigt. An diesen Piers seien sie nach guten und schlechten Arbeitskräften selektiert worden. Bei der Tour sind gerade mal vier Leute dabei, ein großer Kontrast zu einem Ort, ganz in der Nähe. Nur 800 Meter entfernt.
Am Olympiaboulevard stehen hunderte Menschen Schlange vor einem futuristischen Bau, direkt am Wasser. Es ist der ganze Stolz bis hin zur brasilianischen Regierung. Der Prestigebau des spanischen Star-Architekten Santiago Calatrava beheimatet das Museu do Amanhã, Museum von Morgen. Es befasst sich auf künstlerische Art, mit teils atemberaubenden Video-Installationen mit Herausforderungen wie dem Klimawandel und Folgen von Umweltzerstörungen, Fleischkonsum und Überbevölkerung. Das passt gut zum Slogan der Olympischen Spielen «Um mundo novo», «eine neue Welt».
Welche Gegensätze: Wo keinen Kilometer entfernt Yohan kunstvolle Graffitis an die Wände im Sklavenviertel sprüht, sind hier an der Fassade einer Lagerhalle Arbeiter auf Hebebühnen damit beschäftigt, riesige Graffitifiguren nach einer festen Schablone an die Wand zu sprühen. Die Lagerschuppen sind herausgeputzt. Es wird spekuliert, dass nach der Entzündung im Maracanã-Stadion das Olympische Feuer dorthin kommen wird, vielleicht vor das neue Museu do Amanhã.
Bürgermeister Eduardo Paes hofft, dass hunderttausende Menschen hier das neue Rio erleben. Eigentlich ist es nur ein Potemkinsches Dorf. Zwei Straßen weiter ist das alte Rio, das Heruntergekommene. Vom Gestern, der Sklavengeschichte, von den Toten ist aber kaum die Rede.
Angesprochen darauf kommt Rafael Daltro, Koordinator des Projekts neuer Hafen etwas ins Schwimmen. «Es gibt historische Informationen dazu, Orte wie die Friedhöfe, die Pedra do Sal.» Doch die Infotafeln an den Erinnerungsorten sind meist verblichen, teils auch zerstört. Daltro betont, dass es jedem freistehe, sich an den Orten zu informieren. Das Problem: Anders als beim Olympiaboulevard ist hier kaum Polizei zu sehen, die Gegend unsicher. Und offensichtlich war kein Geld mehr da.
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(dpa)