Rio de Janeiro – Mario Andrada, der Sprecher des Organisationskomitees der Olympischen Spiele von Rio, ist erstaunlich relaxed nach dem bislang härtesten Jahr seines Lebens.
«Wir haben uns entschieden, mit Rio de Janeiro eine Mondmission zu starten», sagte er vor Beginn der Spiele 2016. Ein Jahr später gilt es etwas abzuwickeln, das in einigen Bereichen eine ziemliche Bruchlandung geworden ist.
Andrada wurde als Sprecher des OK von Rio 2016 schnell zum Krisenmanager, der vor der Weltpresse erklären musste, warum Schüsse im Pressezentrum der Reitwettbewerbe eingeschlagen sind; warum sich ein Pool der Wasserspringer plötzlich grün gefärbt hat und warum im Olympischen Dorf die Klos ständig verstopft sind.
Andrada empfängt im 32. Stock im Zentrum Rios, im Büro des Nationalen Olympischen Komitees. Dutzende Aktenmeter säumen die Regale, er will nichts von den Ruinen von Rio wissen. «Das Erbe ist ein lebendiges.»
Er zählt auf: die neue Metrolinie in den Vorort Barra, die jeden Tag Zehntausenden Menschen viel Zeit in Staus erspart, der Olympiapark, das neue schicke Hafenviertel mit dem Museu do Amanha, das sich mit den Herausforderungen wie dem Klimawandel auseinandersetzt und schon über zwei Millionen Besucher hatte. Aber da ist auch der Absturz.
Alles in allem haben die Spiele neben umgerechnet 2,4 Millionen Euro an Organisationskosten rund 10,8 Milliarden Euro für Stadien und den Ausbau der Infrastruktur verschlungen. Der Bundesstaat Rio steht am Rande der Pleite, es wird gespart, dass es quietscht. Gerade auch im Sicherheitsbereich, in diesem Jahr wurden schon über 90 Polizisten erschossen, die Banden wie das Comando Vermelho, das rote Kommando, haben die Macht in den Favelas zurückerobert. Und an der Copacabana werden regelmäßig Touristen überfallen. Die Zahl der Hotelbetten wurde in Rio zwar massiv ausgebaut, aber die Auslastung liegt nach Angaben der Tourismusbehörde derzeit nicht einmal bei 50 Prozent.
Dabei war der erklärte Traum, den Erfolg von Barcelona 1992 kopieren – mit großartigen Spielen einen Touristenboom auslösen. Das Gegenteil ist eingetreten, die Spiele fanden statt, als Brasilien schon am Stock ging, seit 2015 brach die Wirtschaftsleistung um 7,4 Prozent ein. «Die Krise hat es den Bewohnern nicht leicht gemacht, sich so zu begeistern, wie wir es erhofft hatten», sagt Andrada. Er arbeitete früher für Reuters und Nike, in der Spitze stemmte der 58-Jährige vor einem Jahr mit 5000 Mitarbeitern die ersten Spiele in Südamerika.
Ab September muss sich Andrada einen neuen Job suchen. Er ist mit sich im Reinen, erinnert an die Eröffnungsfeier am 5. August 2016 mit dem Besten an brasilianischer Musik und Show; an die würdigen Paralympics – die oft leeren Stadien bei Olympia erwähnt er lieber nicht. «Wir haben exzellente Spiele abgeliefert und einen Plan für das Erbe vorgelegt.» Aber die Regierung habe den nicht mal gelesen.
«Es ist einfach, uns den Schwarzen Peter zu geben.» Er rät, sich den Olympiapark anzuschauen, es habe sich viel getan, man übergebe ein Jahr nach den Spielen alles wie geplant an die Regierung. Es ist ein sonniger Tag, das riesige Areal in Barra sieht in der Tat fast besser aus als während der Spiele, als es nirgendwo Schatten oder Bänke gab.
Bäume und Pflanzen sind gepflanzt worden, eine Mauer der Helden führt alle Medaillengewinner der Spiele auf, angefangen von Sprintkönig Usain Bolt. Aber es gibt fast keine Besucher hier, ohnehin ist der Park nur am Wochenende offen. «Pro Tag sind hier vielleicht 1000 Leute», sagt der Polizeichef des Olympiaparks, Alexandre Guterres.
In einer Arena gibt es einen Jiu-Jitsu-Wettkampf, der Eintritt beträgt knapp drei Euro, die Halle ist zu einem Drittel gefüllt. Es gibt inzwischen ein paar solcher Events und das größte Rock-Festival Brasiliens, Rock in Rio, im September. Die Halle Carioca 1 soll in eine Schule auf dem Gelände umgewandelt werden. Die Future Arena, wo die Handballer um Gold kämpften, soll irgendwann einmal demontiert und an anderer Stelle aus dem Material zwei Schulen gebaut werden.
Auch wenn es drinnen trostlos aussieht und die Spinnweben auf den Tribünen wuchern, am weitesten ist die Demontage der olympischen Schwimmarena, wo Michael Phelps seine Bilanz auf 23 olympische Goldmedaillen hochschraubte. Das Becken wurde ausgebaut und in einem neuen Leistungszentrum in der Amazonas-Metropole Manaus eingebaut.
Guterres sagt, nach Rock in Rio solle der Park von Dienstag bis Sonntag geöffnet sein, aber so genau weiß es keiner. Zum einjährigen «Jubiläum» geht die Verantwortung auf die Regierung über, aber die hat kein Geld. Was wird zum Beispiel aus dem Radstadion? Eigentlich sollte der Olympiapark neben Freizeitangeboten wie Fußballplätzen und Tischtennisplatten auch zum nationalen Leistungssportzentrum werden.
In der Nähe ist der Olympia-Golfplatz. Ein Trauerspiel, 30 bis 50 Leute sind pro Tag auf der Anlage. Rio hatte schon zwei Plätze, weil Golfen wieder olympisch wurde, baute man hier noch einen dritten. Ein Baulöwe machte einen windigen Deal mit dem Bürgermeister und durfte drumherum Hochhaus-Appartements en masse errichten. Aber, wie auch der Erbauer des olympischen Dorfes, Carvalho Hosken, wurden die großen Immobilienhändler zu den Verlierern. Erst ein paar hundert der über 3000 Wohnungen in den Hochhausblöcken des Olympischen Dorfes sind verkauft, die teuersten kosten für 160 Quadratmeter 1,77 Millionen Reais (480 000 Euro). Es droht, eine Geistersiedlung zu werden.
Zurück zu Mario Andrada, dem Abwickler der Spiele. Er muss es irgendwie noch schaffen, 132 Millionen Reais (35,7 Mio Euro) Defizit abzubauen, Staat und Stadt würden sie aber hängen lassen. Sogar das Militär berechne jeden Tag rund 270 Euro Strafe – wegen angeblicher Schäden in der Schießsportanlage auf einem Militärgelände im Norden – dabei habe man die Schießanlage ja erst für Olympia in Rio gebaut.
«Der Staat war erst korrupt, dann bankrott.» Die Todeszahlen in Rio seien anno 2017 «die Zahlen eines Krieges». Und einmal in Fahrt, rechnet er mit den internationalen Medien ab. «Sie sind den Weg des Klischees gegangen.» Eine Million Mal habe man gesagt, es gäbe kein Zika bei Olympia, da im südamerikanischen Winter die Moskitos kaum vorhanden sind. «Man glaubte uns nicht». Und eine Nachrichtenagentur sei zu einer Wasserprüfungs-Agentur geworden und habe große Ängste vor Vergiftungen beim Segeln in der Guanabara-Bucht geschürt.
Das ist Andradas Sicht. Ein Erbe ist aber auch, dass das legendäre Maracanã-Stadion nun vor sich hin gammelt. Nicht ein Spiel in der WM-Qualifikation hat Brasilien hier bestreiten können. Der Besitzer, der Baukonzern Odebrecht, machte diverse Schäden durch Eröffnungs- und Schlussfeier geltend, die vom Organisationskomitee nicht behoben worden seien. «Wir haben das Maracanã nicht zerstört.» Odebrecht suche einen Schuldigen, der Konzern wolle das Stadion loswerden.
Richtige Gewinner gibt es nur wenige, wie die erste brasilianische Olympiasiegerin 2016, Judoka Rafaela Silva, die aus der Favela Cidade de Deus kommt und einen kleinen Boom auslöste, sie ist ein Star. Aber in den Hotels, gerade in Barra herrscht Flaute. Der neue Bürgermeister, Marcelo Crivella, ein früherer Sektenbischof, will nun sogar den Sambaschulen Zuschüsse drastisch streichen. Es könnte die Absage des Sambakarnevals drohen. Rio tanzt nicht mehr, ein Jahr nach Olympia.
(dpa)