Essen – Sechs Spiele, sechs Siege – doch Horst Hrubesch wusste nicht einmal, dass er mit der makellosen Bilanz als Trainer der deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft einen Startrekord hingelegt hatte.
«Was habe ich jetzt schon wieder gemacht?», fragte der 67 Jahre alte Coach überrascht, als er nach dem 3:1-Sieg gegen Österreich in Essen davon erfuhr. Zuletzt hatte Silvia Neid nach ihrer Amtsübernahme 2005 fünf Siege nacheinander eingefahren. Diese Bestmarke hat Hrubesch nun einkassiert. «Das nehme ich mit. Aber solche Dinge interessieren mich eigentlich nicht.»
Typisch Hrubesch. Viel wichtiger als eigene Meriten ist dem knorrigen Westfalen, dass er die verunsicherte DFB-Auswahl als Interimscoach nach der Trennung von Steffi Jones innerhalb von sechs Monaten wieder in die Erfolgsspur brachte. «Mit ihm haben wir Selbstbewusstsein und Spielfreude zurückbekommen», lobte Bayern-Mittelfeldspielerin Sara Däbritz den Chef. «Wir haben wieder Spaß, das hat man gesehen», befand auch die Wolfsburgerin Alexandra Popp.
Die Spielführerin köpfte ihr Team bereits in der achten Minute in Führung, ließ aber zwei weitere Großchancen aus: «Da muss ich kaltschnäuziger werden», gestand Popp nach ihrem 44. Treffer im 91. Länderspiel. Gleichwohl erklärte Hrubesch die 27 Jahre alte Offensivspielerin mit Blick auf die WM für unersetzlich. «Wir wissen, was wir an ihr haben. Sie ist eigentlich unverzichtbar für uns.»
Statt Popp sicherten nach dem Ausgleich von Nicole Billa (34.) in Linda Dallmann (56.) und Lea Schüller (84.) zwei Essener Lokalmatadorinnen den verdiente Erfolg gegen den EM-Halbfinalisten von 2017. «Ich hätte nicht schlafen können, wenn ich nicht noch das Tor gemacht hätte», sagte die quirlige Dallmann, und gab hohe Ziele aus: «Wir wollen bis zur WM kein Spiel mehr verlieren.»
Das erste Länderspiel nach der erfolgreichen WM-Qualifikation nutzte Hrubesch, um den Kampf um die Kaderplätze-Plätze für die Endrunde in Frankreich (7. Juni bis 7. Juli 2019) auszurufen und personell zu experimentieren. So bekamen nicht nur die beiden Ersatz-Torhüterinnen Lisa Schmitz (Potsdam) und Merle Frohms (Freiburg) Einsatzzeiten, auch die erste 19-jährige Giulia Gwinn (Freiburg), Felicitas Rauch (Potsdam) oder Turid Knaak (Essen) durften sich zeigen.
Bis auf die Chancenverwertung war Hrubesch «sehr zufrieden» mit den Fortschritten des Teams, das sich befreit vom Druck der Qualifikationsspiele kombinationssicherer als zuletzt präsentierte. Hrubesch betonte erneut, wie viel Spaß ihm die Arbeit mit «den Mädels» bereitet, wie leidenschaftlich sie bei der Sache sind. «So stellt sich das ein Trainer vor. Da bin ich richtig euphorisiert. Sie werden ihren Weg gehen», sagte er, und ergänzte mit Blick auf die WM: «Da können wir eine gute Rolle spielen. Jede Mannschaft, die mit uns mitspielen will, wird Schwierigkeiten kriegen.»
Den eingeschlagenen Weg soll seine Nachfolgerin Martina Voss-Tecklenburg fortsetzen und das vorhandene Potenzial weiterentwickeln. Noch ist unklar, wann die 50-Jährige beim DFB einsteigt, weil sie noch in den Playoffs mit der Schweiz um das letzte europäische WM-Ticket kämpft. Sollten sich die Schweizerinnen am Dienstag für die Finals am 5. und 13. November qualifizieren – wonach es nach dem 2:2 im Halbfinal-Hinspiel in Belgien aussieht – würde Hrubesch die Elf noch in den Tests gegen Italien (10. November) in Osnabrück und drei Tage später gegen Spanien in Erfurt betreuen. Und vor seinem Ruhestand noch zweimal Spaß haben mit den Mädels.
(dpa)