Regelhüter entscheiden über Videobeweis

Zürich – Deftige Kommentare zum Videobeweis wird es wohl auch in der kommenden Bundesliga-Saison immer wieder geben. Wenn die Regelhüter des Weltfußballs am Samstag in der FIFA-Zentrale in Zürich zusammenkommen, scheint das Ergebnis des brisantesten Tagesordnungspunktes schon entschieden.

So viele Emotionen der Videobeweis bei Spielern, Trainern und auch Fans regelmäßig hervorruft, so gibt es an der dauerhaften Einführung der Videoschiedsrichter schon jetzt praktisch keine Zweifel mehr. «Wir müssen Entscheidungen auf der Basis von Fakten treffen, nicht auf der Basis von Gefühlen. Die Fakten sind, dass in fast 1000 Spielen die korrekten Entscheidungen der Schiedsrichter von 93 auf fast 99 Prozent gestiegen sind», sagte FIFA-Präsident Gianni Infantino vor der Entscheidung des International Football Association Boards (IFAB) über den Videobeweis in der Zentrale des Weltverbandes.

Doch die Gefühle, die Infantino ausblenden möchte, schlugen in der Testphase immer wieder hoch. In der Bundesliga ebenso wie in Italien oder im englischen Pokal, wo gerade erst am Mittwoch der zigfache Einsatz des Videoreferees beim Pokalspiel zwischen Tottenham Hotspur und Rochdale zu Slapstick-Szenen führte.

In der Bundesliga wetterten einige Macher in den vergangenen Monaten im Überschwang der Emotionen. Rudi Völler wähnte Referee Wolfgang Stark im Keller in Köln, wo die Videoassistenten bei Bundesliga-Spielen sitzen, «eingeschlafen». HSV-Boss Heribert Bruchhagen polterte jüngst nach dem Gegentor in Bremen: «Was sind das für Leute, die da in Köln sitzen?», entschuldigte sich aber einen Tag später für die Wortwahl.

Ein anfangs vermuteter Kritikpunkt jedenfalls trifft auf den Videobeweis nicht zu: Er macht den Fußball nicht weniger emotional – ganz im Gegenteil. Aber weniger fehlerhaft macht er ihn, meinen zumindest die Befürworter. Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge meint, der Fußball werde «besser, seriöser und fairer». Das IFAB rechnete schon im Januar aus, dass die Entscheidungen der Video-Assistenten zu 98,9 Prozent richtig gewesen seien.

Die Homepage des Regelgremiums ziert ein Bild von Schiedsrichter Wilmar Roldan, und damit ausgerechnet von einem Referee, der für ein mächtiges Video-Durcheinander beim Confed Cup im vergangenen Sommer verantwortlich war. Drei Versuche benötigte der Kolumbianer, um in der offenbar schwierigen Kommunikation mit seinem Videoassistenten bei der Partie Deutschland gegen Kamerun den richtigen Sünder, Ernest Mabouka, vom Platz zu stellen.

Die FIFA sagt, man habe aus der Testphase gelernt. Auch in der Bundesliga benötigte man fast die ganze Hinrunde, um die schlimmsten Verwirrungen zu beseitigen. Die Leitlinien scheinen simpel. Wichtig ist eine klare Beschränkung auf vier Spielszenen: Torentscheidung, Rote Karte, Abseits und Spielerverwechslung sowie die klare Beschränkung auf einen Eingriff des Videoassistenten nur bei offensichtlichen Fehlentscheidungen des Referees in solchen Fällen.

Infantino hat sich mit seinem Wunsch nach einem Einsatz der technischen Hilfe bei der WM so weit voran gewagt, dass das IFAB fast gar keine andere Wahl mehr treffen kann, ohne den Top-Funktionär zu brüskieren. «Wenn wir oder ich etwas tun können, um sicher zu sein, dass die WM nicht durch einen Schiedsrichter-Fehler entschieden wird, dann denke ich, dass es unsere Pflicht ist, dies zu tun», sagte Infantino.

Die vier FIFA-Stimmen im IFAB, die traditionell en bloc vergeben werden, sind damit sicher. Und auch die britischen Verbände aus England, Wales, Schottland und Nordirland, die die weiteren vier Sitze innehaben, taten sich bislang nicht als große Kritiker hervor. Sechs von acht Stimmen sind für eine Änderung im Fußball-Regelwerk notwendig.

Einen Automatismus für den Video-Referee bei allen Fußball-Spielen gibt es aber damit nicht. Der Einsatz von Videoreferees wäre in vielen Ländern personell wie strukturell schwierig umzusetzen. Vermutlich wird das IFAB ein generelles Ja für die technische Hilfe aussprechen, die Umsetzung dann aber den einzelnen Verbänden überlassen. Für die WM würde die Entscheidung dann beim Council-Meeting am 15. und 16. März in Bogota fallen.

So könnte FIFA-Chef Infantino sein Projekt bei der WM zum Einsatz bringen, Skeptiker wie UEFA-Boss Aleksander Ceferin hingegen für die Champions League die weiteren Entwicklungen abwarten. In Bundesliga und DFB-Pokal wird es den Videobeweis mit einem Ja aus Zürich weiter geben, das haben DFB-Chef Reinhard Grindel und DFL-Boss Christian Seifert schon klar gemacht – unabhängig von allen Kommentaren über die Arbeit im Kölner Keller.


(dpa)

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