Para-EM: Weitspringer Popow verabschiedet sich mit Silber

Berlin – Heinrich Popow kam gar nicht mehr aus dem Händeschütteln heraus.

Hier noch ein Selfie, da eine Umarmung, dort ein Küsschen – eingehüllt in eine Deutschlandfahne und mit einem Blumenstrauß in der Hand nahm der Weitspringer aus Leverkusen die guten Wünsche entgegen. Die zum Abschluss der Laufbahn. Und die zum Gewinn der Silbermedaille bei den Europameisterschaften der behinderten Leichtathleten am Dienstag in Berlin.

«Diese sechs Versuche standen stellvertretend für die 18 Jahre meiner Karriere», sagte der 35-Jährige, der mit 6,24 Metern noch einmal eine persönliche Jahresbestleistung aufgestellt hatte, aber während des ganzen Wettkampfs angespannt wirkte und mit dem böigen Wind zu kämpfen hatte. Nur der Däne Daniel Wagner war mit 6,72 Metern weiter gesprungen als der zweimalige Paralympics-Sieger und fünfmalige Weltmeister. Den Weltrekord von 6,74 Metern hatte er seinem deutschen Konkurrenten soeben noch gelassen. Wagners Leistung hätten ihm gezeigt, «dass es Zeit für mich ist, an anderen Stellschrauben des Sports zu drehen», sagte Popow.

Als das Publikum im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark ihn feierte, geriet der Sieg der hochgradig sehbehinderten Katrin Müller-Rottgardt mit Begleiterläufer Alexander Kosenkow über 100 Meter (12,78 Sekunden) zur Nebensache. Der querschnittgelähmte frühere Turner Ronny Ziesmer wurde bei seinem Debüt in der Para-Leichtathletik Letzter in seinem Rollstuhlrennen über 100 Meter.

«Ich wäre heute nicht der glückliche Mensch, der ich bin, wenn ich den Sport nicht gehabt hätte», sagte der gebürtige Ukrainer Popow, dem im Alter von neun Jahren wegen einer Krebserkrankung ein Bein abgenommen werden musste, mit belegter Stimme. Er gilt als Vorzeigeathlet des paralympischen Sports. Auch weil er schon so lange dabei ist. «2000 bis 2018 – wat wor dat dann en super Zick. Danke, Heini», stand in rheinischer Mundart auf einem Plakat, das seine Leverkusener Kameraden auf der Haupttribüne angebracht hatten. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er im vergangenen Jahr als Teilnehmer der RTL-Show «Let’s dance» bekannt.

Auch wenn sich Popow in den leistungssportlichen Ruhestand verabschiedet, bleibt er dem Behindertensport eng verbunden. So ist er für den Prothesen-Hersteller Otto Bock seit Jahren im Auftrag der «Running Clinic» in aller Welt unterwegs und bringt Amputierte in Asien, Südamerika oder auf Kuba zum Sport. Mit Blick auf die Paralympics 2020 in Tokio arbeitet er als technischer Berater des japanischen Verbandes, auch der deutsche Verband will ihn weiter einbinden. Und als kritischer Geist findet er auch gesellschaftspolitisch Gehör. «Ich bin kein Freund der Inklusion, der Gleichmacherei und von diesem ganzen Quatsch», sagte er, «ich bin ein Freund der Individualität».


(dpa)

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