München – Schon am vierten Tag nach dem WM-Debakel waren sich Joachim Löw und Oliver Bierhoff bei einem Treffen in Freiburg einig.
Trotz harten Selbstvorwürfen wie «Arroganz» und «Selbstgefälligkeit» sehen sich der Bundestrainer und der Teammanager auch nach dem «absoluten Tiefschlag» (Löw) in Russland unverändert als Ideallösung an der Spitze der Fußball-Nationalmannschaft. Beide hängen an ihren Jobs, und beide halten das Turnier-Debakel für einen Betriebsunfall, der ohne radikale Maßnahmen korrigierbar ist – und zwar durch sie.
«Wir haben beide gespürt, dass wir auch nach 14 Jahren die große Motivation und die Energie haben, das, was wir in Russland verbockt haben, auf gute Beine zu stellen und mit aller Kraft dieses Schiff wieder auf Kurs zu bringen», sagte der 58-jährige Löw am 63. Tag nach dem krachenden Vorrunden-K.o. des Titelverteidigers bei der gemeinsamen XXL-Pressekonferenz mit seinem Weggefährten und Vertrauten Bierhoff (50) in der Münchner Arena.
Die schwer angeschlagene Erfolgs-Connection Löw/Bierhoff ist mal wieder aufeinander angewiesen. Als Hauptverantwortliche für das sportliche Elend in Russland (Löw) und das miese Erscheinungsbild der Nationalelf (Bierhoff) abseits des Platzes braucht sich das Duo einmal mehr in misslicher Lage. Sollte der eine bei einem verpatzten Neustart stürzen, könnte er den anderen durchaus mitreißen.
Besonders auf Löw kommt es an, weil Fußball ein Ergebnissport ist, Siege und Niederlage die Gesamtsituation bestimmen: Der Chefcoach muss schon in einer Woche in den Länderspielen gegen Weltmeister Frankreich und Peru die sportliche Wende einleiten. «Wir müssen ein klares Zeichen setzen», sagte Löw. DFB-Direktor Bierhoff muss die verlorene Nähe zu den Fans umkehren. «Für die Außendarstellung der Mannschaft bin ich verantwortlich», erklärte er deutlich.
Löw und Bierhoff haben auch schon in der Vergangenheit Krisen gemeistert. Vor der WM 2010 wurde dem Manager mit übertriebenen Forderungen die zunächst geplatzte Vertragsverlängerung des DFB mit der Sportlichen Leitung angelastet. Löw stand damals zu Bierhoff. Und nach Platz drei mit einem jungen, frischen Team in Südafrika verlängerte der DFB nicht nur mit Löw und Bierhoff. Von da an konnten beide ihre Machtpositionen im Verband immer mehr ausbauen, die Nationalelf ganz nach ihrem Gusto ausrichten. Selbst jetzt sagte Bierhoff: «Es wäre vollkommen verkehrt, alles über den Haufen zu werfen, worauf wir sehr stolz sind und was 14 Jahre geklappt hat.»
Bei ihrer Münchner WM-Analyse wurde eines deutlich: Beide planen eine Kurskorrektur auf ihre Art. Löw hält eine Anpassung des Spielstils für ausreichend. Der personelle Umbruch fällt entsprechend minimal aus, die alten Kameraden von Boateng über Hummels bis Kroos bilden weiter das Gerüst. «Mats, Jérôme, Toni sind Spieler, die es auf internationaler Bühne bewiesen haben», sagte Löw: «Ich bin absolut überzeugt von unserer Klasse und von unserer Qualität.»
In Russland vermisste er Enthusiasmus und Feuer im Team. «Es lag nicht an einem Einzelnen, in der Summe haben wir nicht geliefert», sagte der Bundestrainer. Er bleibt seiner Philosophie treu: «Die Vision von unserem Spiel dürfen wir auf keinen Fall aufgeben. Eine Mannschaft, die ich trainiere, wird nicht ausschließlich defensiv spielen.»
Die Talente Kai Havertz (19/Bayer Leverkusen), Thilo Kehrer (21/Paris) und Nico Schulz (25/Hoffenheim) sollen als neue Gesichter beim Neustart erstmal reichen. Gleich 17 Russland-Fahrer werden sich am Montag in München versammeln. Von den 2014-Weltmeistern wurde von Löw allein Mittelfeldmann Sami Khedira (31) nicht mehr berufen.
Der einstige Weltklassestürmer Bierhoff dokumentierte beim Auftritt in München, dass Defensive nicht sein Ding ist. In der Verteidigung fühlt er sich nicht wohl. Er will darum auch gleich wieder «nach vorne gehen als Führungskraft, die Ärmel hochkrempeln und anpacken». So war der Europameister von 1996 schon als Fußballer: «Wer meine Karriere kennt, weiß, dass mich Kritik nicht hingehauen, sondern immer angestachelt hat.» Löw bleibt Löw, Bierhoff bleibt Bierhoff.
Der Manager wird den aufgeblähten Betreuerstab etwas verschlanken. Der Kunstbegriff «Die Mannschaft» steht auf dem Prüfstand. Knackpunkt für seine Arbeit aber ist die Entfremdung zwischen Fans und Team. Die Unterstützung der Fans habe man «für zu selbstverständlich gehalten», gestand Bierhoff. Er kündigte als Sofortmaßnahme zwei öffentliche Trainingseinheiten an, aber nicht schon beim Neustart, sondern jeweils eine im Oktober in Berlin und eine im November in Leipzig. «Aus Fehlern lernen», lautet Bierhoffs Motto. Der Beweis muss auf dem Weg zur EM 2020 im Länderspiel-Alltag gelingen. Nur so kann der neue Pakt der alten Weggefährten Löw und Bierhoff aufgehen.
(dpa)