Rio de Janeiro – Olympia war ein Fest der Bilder, der Emotionen – ein paar Wochen konnten die Menschen die Krise in Brasilien vergessen. Aber Rio war nur bedingt bereit für das größte Sportfest der Welt. Wie groß der Kater ist, zeigt sich jetzt, da wieder Alltag herrscht.
Immerhin fährt die neue Metro und erleichtert jeden Tag Zehntausenden Pendlern das Leben. Wo Slalom-Kanuten um Gold kämpften, hat Rio de Janeiro nun ein gut frequentiertes neues Freiluftschwimmbad gewonnen. Und die Judo-Olympiasiegerin Rafaela Silva aus der Favela Cidade de Deus wirbt emsig um Nachwuchstalente.
Und was bleibt sonst von den ersten Olympischen Spielen in Südamerika, 100 Tage danach? Wirtschaftlich wurden die Hoffnungen enttäuscht. Es kamen nur 410 000 ausländische Gäste – ein großer Touristenschub für die Zukunft wie zum Beispiel nach Barcelona 1992 zeichnet sich nicht ab. Und der Bundesstaat Rio de Janeiro ist quasi pleite, auch wegen des Olympia-Erbes und weil Erdöleeinnahmen eingebrochen sind.
Bedienstete in Krankenhäusern, an Universitäten und bei der Polizei bekamen Löhne zuletzt oft mit viel Verzögerung. Proteste sind an der Tagesordnung – bis hin zu gewalttätigen Ausschreitungen und Besetzungen. Gouverneur Luiz Fernando Pezão wandte sich in einem Hilferuf an die Regierung, der Bundesstaat sei zunehmend unregierbar.
Während Eduardo Paes, der als quirliger Bürgermeister Rio 2016 geprägt hatte, die vielen Verbesserungen bei der Infrastruktur hervorhebt, reden sie in der Stadt derzeit vor allem über ein Thema: Das Aufflammen von Bandenkriegen und die fehlende Polizeipräsenz.
Paes konnte jüngst nicht noch mal antreten bei der Bürgermeisterwahl. Wie fragil die Sicherheitslage nach Olympia ist, weil überall Geld im klammen Bundesstaat fehlt, zeigte die Stichwahl Ende Oktober, als erneut 9500 Militärpolizisten einrückten, um die Wahl zu sichern. Was bedeutet es zudem, dass die Bürger in dieser Stadt der Freizügigkeit, Lebensfreude und des Samba einen streng religiösen früheren Sektenbischof zum obersten Stadtherren gewählt haben?
Marcelo Crivella (59) ist für Attacken auf Schwarze und Schwule berüchtigt; er gehört der «Universalkirche des Königreiches Gottes» an. Über Schwarze hatte er gesagt, dass sie vor allem Cachaça-Schnaps und Prostitution mögen. Über Schwule sagte er: «Sie sind Opfer eines schrecklichen Übels.»
Viele rechnen mit einer deutlich härteren Hand, gerade in den Favelas. Rios Sicherheitschef, Mariano Beltrame, trat vor der Wahl schon entnervt zurück. Er gilt als Erfinder der Favela-Befriedung, mit der viele Armenviertel durch die Stationierung der neu geschaffenen Polizeieinheit UPP sicherer wurden, flankierend wurden Strom- und Wasserversorgung ausgebaut. Doch es fehlt das Geld für weitere Sozialmaßnahmen, in den Favelas haben zunehmend wieder Drogenbanden, wie das Comando Vermelho («rotes Kommando») das Sagen.
Mangels Geld musste sogar wochenlang der Betrieb der großen Seilbahn eingestellt werden, die über mehrere Kilometer und Hügel die größte Favela, Complexo do Alemão, verbindet – weil Rio der Betreiberfirma mit 150 Angestellten rund 11 Millionen Reais (3 Millionen Euro) schuldet.
Vor Beltrames Rückzug hatte es selbst in einer als sicher geltenden Favela im Herzen der Copacabana stundenlange Schießereien gegeben, bis an den Strand waren die Gewehrsalven zu hören. Wie in einem Krieg fuhren schwer bewaffnete Militärkonvois vor, keine 500 Meter vom Olympischen Ziel der Rennradfahrer und Triathleten entfernt. Drei Drogenhändler wurden in der Favela Pavão-Pavãozinho, in der auch Hamburgs früherer Innensenator Ronald Schill wohnt, erschossen. Ein Video zeigte, wie ein angeschossener Mann einen Felsen hinabstürzte.
Der niedrige Ölpreis hat neben den Olympia-Kosten (über 10 Milliarden Euro, 57 Prozent davon privat finanziert) den Bundesstaat an den Rand der Pleite gebracht. Noch ist nicht ausgemacht, ob im Olympiapark Barra wirklich alle Pläne für Schulen in bisherigen Sportarenen und ein Leistungssportzentrum umgesetzt werden können. Wie eng alles auf Kante genäht war, und wie groß die Not ist, zeigt ein kleines Detail.
Das Organisationskomitee häufte bis November Schulden von umgerechnet 6,2 Millionen Euro beim Stromversorger Light an – der drohte zunächst sogar, bei der Bürgermeisterstichwahl wegen der fehlenden Gelder den Strom in Rios Wahlzentren abzustellen. Allein für die Nutzung des Maracanã-Stadions lagen die Stromschulden bei rund 340 000 Euro.
Rio 2016, das waren mitunter anstrengende Spiele der weiten Wege und Transportprobleme, sie schafften so manchen. Und machten oft abseits des Sports Schlagzeilen. Das IOC-Mitglied Patrick Hickey wurde wegen des Verdachts auf illegalen Tickethandel spärlich bekleidet in einem Hotel festgenommen, der US-Schwimmer Ryan Lochte brachte sich wegen eines erfundenen Überfalls an einer Tankstelle um millionenschwere Werbeverträge. Aber bei allen Negativschlagzeilen und Problemen: die Herzlichkeit der Menschen begeisterte, so überraschten die Paralympics mit vollen Stadien und ausgelassener Stimmung. Vor allem die Zeremonien im Maracanã machten die «Cariocas» mächtig stolz.
Doch auch wenn IOC-Präsident Thomas Bach am Ende diplomatisch von «wunderbaren Spielen in der wunderbaren Stadt» sprach: die Hypothek könnte ähnlich wie bei Athen 2004 am Ende eine sehr hohe sein.
(dpa)