Hamburg – Groß gefeiert wird der 100. Geburtstag des deutschen Spring-Derbys in jedem Fall noch einmal. Nur wann und in welcher Form, das weiß Turnier-Organisator Volker Wulff auch noch nicht.
Denn die Wahrscheinlichkeit, dass noch im Jubiläumsjahr auf dem Traditionskurs in Hamburg-Klein Flottbek geritten wird, ist angesichts der Corona-Pandemie eher gering.
Doch so ganz ohne Erinnerung an das einzigartige Turnier sollte das Jubiläums-Jahr nicht vorübergehen. Auch wenn das Geburtsdatum des Derbys der 26. Juni 1920 ist, wurde im eingeschränkten Corona-Rahmen des Ereignisses bereits gedacht. Am 24. Mai – dem vorgesehenen Tag für die 91. Auflage des Springens – trafen sich einstige und aktuelle Reit-Protagonisten, Sponsoren und Organisatoren auf dem Platz, einige stilecht in Kostümen der 1920er-Jahre gekleidet. Sie würdigten den Derby-Erfinder Eduard F. Pulvermann, dessen Idee und die grandiose Turnier-Vergangenheit.
Pulvermann wurde 1882 in Hamburg geboren. Er war Kaufmann und passionierter Reiter. Seine Idee: ein Parcours mit Naturhindernissen, angelehnt an der holsteinischen Landschaft. Die Premiere fand nicht auf dem heutigen Gelände statt, sondern auf einem Poloplatz in der Nähe. 1928 zog das Derby an die jetzige Stätte mit den bis heute fast unveränderten 17 Hindernissen.
«Das Derby ist gleichzusetzen mit Wimbledon im Tennis», sagte der dreimalige Derby-Sieger André Thieme einmal. Er ist seit Jahren die Werbefigur für das Turnier. Auf Plakaten ist Thieme zu sehen, wie er mit seinem Erfolgspferd Nacorde den berühmten Wall herunterkommt. Die Erkenntnis des 45 Jahre alten Mecklenburgers über den Parcours: «Er erfordert Mut, Mut, Mut – von Reiter und Pferd.»
Doch ohne die Global Champions Tour wäre das Turnier heute wohl nur noch ein regionales Ereignis. Hamburg ist seit 2008 Station der Millionenserie. Nur wegen des lukrativen Springens am Samstag kommen die Stars der Szene. Im Derby am Sonntag starten die Reiter – anders als früher – nicht mit ihren Championats-Pferden. Um dort zu bestehen, braucht es Spezialisten. Und die hat nicht jeder im Stall. Denn die Anforderungen an die Tiere sind in dem Springen einzigartig und werden auf modernen Kursen so nicht mehr gestellt.
Mit 1230 Metern Länge ist der Parcours etwa zwei- bis dreimal so lang wie in einer normalen Prüfung. Auch etliche Hindernisse finden sich sonst nirgendwo. Das berühmteste ist Pulvermanns Grab mit zwei Sprüngen und einem Wassergraben in einer Senke.
Am markantesten auf dem Gelände ist der drei Meter hohe Wall. Oben ist ein 1,15 Meter hoher Sprung. Wenn Pferd und Reiter den Wall herunterkommen, bleibt nur ein Galoppsprung, um die dahinter stehende 1,65 Meter hohe Planke zu überwinden.
«Er war seiner Zeit voraus», sagte Wulff über den Derby-Erfinder Pulvermann. Geschicklichkeit und das Vertrauen zwischen Pferd und Reiter seien auf dem Parcours gefragt. Lange galt es als unmöglich, den Kurs ohne Fehler zu bewältigen. Auch Pulvermann gelang das nicht. Erst 1935 schaffte Herbert Neckelmann mit Raubritter den ersten fehlerfreien Ritt. Dennoch siegte er nicht, da auch Günter Temme mit Egly ohne Fehler über die Hindernisse kam und das Stechen gewann.
Insgesamt verzeichnet die Statistik bis heute 159 Nullfehlerritte. 2019 gelang das Kunststück dem siegreichen Nisse Lüneburg aus Wedel mit Cordillo und dem Iren Shane Breen auf Can Ya Makan. Der erfolgreichste Reiter war der Brasilianer Nelson Pessoa, der sich sieben Mal das «Blaue Band» des Siegers holte. Bislang waren vier Frauen erfolgreich. Die letzte war die Britin Caroline Bradley 1975.
Pulvermanns Leben endete tragisch. Weil sein Großvater Jude war, verfolgten ihn die Nazis. 1941 wurde er erstmals verhaftet. Später kam er auch ins KZ Neuengamme. Er starb am 9. April 1944 mit 61 Jahren in einem Haftkrankenhaus an einer Lungenentzündung.
Eine Tafel am Derby-Platz und ein Stolperstein vor dem Haus im Hamburger Stadtteil Eppendorf, in dem seine Familie ihre letzte Wohnung hatte, erinnern an ihn. Mit dem Parcours hat er sich selbst das größte Denkmal gesetzt.
(dpa)