Leipzig – Wäre schon in der nächsten Woche die EM, dann hätte Bundestrainer Otto Becker ein großes Problem. Für die Nominierung der Nationalmannschaft stünden ihm nur zwei Springreiter aus dem Olympia-Kader zur Verfügung.
«Die Decke wird immer dünner, leider», sagte Becker vor dem Weltcup-Heimspiel am Wochenende in Leipzig. «Das spiegelt die Entwicklung der letzten Jahre wider.»
Der überraschende WM-Triumph von Simone Blum mit Alice und Team-Bronze im September in den USA täuschen über die Probleme hinweg. «Die fetten Jahre sind vorbei», sagte Becker. In früheren Jahren hatte der Bundestrainer oft die Qual der Wahl bei der Nominierung: «Wir hätten manchmal auch zwei Mannschaften schicken können, die gute Medaillenchancen gehabt hätten. Das ist jetzt anders.»
Die neue Weltmeisterin muss nach einer Schulter-Operation noch einige Wochen pausieren. Während Blum bis zur EM längst wieder fit sein sollte, ist Laura Klaphake im August keine Option. Die bei der WM mit Team-Bronze dekorierte Reiterin hat kein Pferd mehr auf dem notwendigen Niveau. Paul Schockemöhle hat Klaphakes WM-Pferd Catch me if you can – so wie zuvor schon Silverstone – für mehrere Millionen Euro nach Tschechien verkauft. «Leider haben die wirtschaftlichen Interessen überwogen», kommentierte der Bundestrainer zur Entscheidung des Pferdehändlers aus dem niedersächsischen Mühlen.
«Das war ziemlich hart für mich», sagte die 25-Jährige dem Fachmagazin «Reiter Revue»: «Erst Silverstone und jetzt Catch me. Das macht mich unheimlich traurig.» Klaphake wurde notgedrungen aus dem Olympia-Kader gestrichen, der derzeit nur noch drei Personen umfasst. Neben der verletzten Blum gehören die WM-Reiter Marcus Ehning und Maurice Tebbel dazu.
Der Handel mit den Spitzenpferden gehört zum Geschäft, ist aber für die deutsche Reiterei ein immer größeres Problem. Auch Meredith Michaels-Beerbaum, viele Jahre in der Weltspitze und zuletzt 2016 in Rio Teil des deutschen Bronze-Teams, hat nach dem Verkauf ihres Olympia-Pferdes Fibonacci den Anschluss verloren.
Leise Hoffnung hat der Bundestrainer noch bei zwei Reitern, die in der laufenden Weltcup-Saison die erfolgreichsten Deutschen sind. Für Starts in der Nationalmannschaft müssten Christian Ahlmann und Daniel Deußer aber die Athletenvereinbarung unterschreiben. Doch sie haben erhebliche Bedenken. Ihr Hauptkritikpunkt an der Vereinbarung ist, dass sie im Falle von juristischen Auseinandersetzungen mit dem Verband keine ordentlichen Gerichte anrufen dürfen.
«Wir hatten nach der WM sehr gute Gespräche mit beiden», sagte Dennis Peiler, Sport-Chef bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN). «Wir sind optimistisch, sie wieder ins Boot zu holen. Dass sie herausragende Reiter sind, steht außer Frage.»
In den vergangenen beiden Jahren hatten die beiden Weltklasse-Reiter, die vor der Etappe in Leipzig im Weltcup-Ranking auf den Rängen vier und fünf liegen, die notwendige Unterschrift verweigert. Sie verzichteten damit freiwillig auf die EM 2017 und die WM 2018. «Ich hoffe, dass sie wieder dazu kommen», sagte Becker.
Der Bundestrainer sieht zudem «eine Chance für neue Leute». In Leipzig können sie sich dem Bundestrainer präsentieren. Allein neun Reiter sind – vor allem aufgrund des Heimrechts – für den Großen Preis vorqualifiziert, der zugleich die elfte von 13 Stationen des Weltcups ist. Starke Auftritte beim ersten großen Turnier des neuen Jahres in Deutschland wären eine gute Bewerbung für das EM-Team.
(dpa)