Mit Putin und Ball aus dem All: Russland erhofft Auftaktsieg

Moskau – Die großen Hoffnungen von 145 Millionen Russen auf den Schultern – aber dennoch demonstrativ locker. «Wir werden sehr gut vorbereitet sein», betont Russlands Fußball-Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow vor dem richtungsweisenden WM-Eröffnungsspiel am Donnerstag gegen Saudi-Arabien.

Vor den Augen von Kremlchef Wladimir Putin im aufwendig renovierten Moskauer Luschniki-Stadion und Millionen TV-Zuschauern hofft das sportlich kriselnde Riesenreich auf den perfekten Start ins Heim-Turnier.

Zuletzt waren allerdings sogar Putin Zweifel gekommen. «Ich muss leider zugeben, dass unsere Mannschaft jüngst keine guten Ergebnisse erzielt hat», sagte er in einem Interview. «Aber wir erwarten ganz einfach, dass das Team mit Würde spielt, modernen und interessanten Fußball zeigt und bis zum Ende kämpft.» Nach monatelangen Debatten über Kosten, Doping und Boykott sehnt der Gastgeber den Anpfiff der Weltmeisterschaft herbei – mit einer Mischung aus Zweifel und Vorfreude. Ein Gedanke eint das große Land: Bloß keine Blamage!

Für die schärfsten Kritiker der Sbornaja ist die Tragödie jedoch fast unausweichlich. Überaltert sei das Team, sagt etwa Sportjournalist Juri Semljanow, zudem fehle es an einer Grundidee. «Spielt die Sbornaja jetzt mit Dreierkette, Gegenpressing oder hängender Spitze? Man weiß es einfach nicht.» Zuletzt hagelte es fast nur Niederlagen, das Team wirke wie wahllos zusammengewürfelt, meint Semljanow.

Ob dieser Vergleich berechtigt ist? Am allerwenigsten interessiert das vermutlich Tschertschessow. «Wir arbeiten hart und konzentriert», sagt der einstige Bundesligaprofi von Dynamo Dresden. «Jeder kann sich davon überzeugen, auch Präsident Putin. Ich lade ihn hiermit ein, sich das Training persönlich anzuschauen.»

Einer von denen, die die WM-Blamage abwenden sollen, steht nach den Aufwärmübungen im durchgeschwitzten Trikot vor Journalisten. Die Grasflecken auf dem Dress von Stürmer Artjom Dsjuba sind groß wie Pfannkuchen. Mit einem flammenden Appell wendet er sich an die Nation. «Unterstützt uns! Wir sind keine Favoriten. Aber wir können einiges bewegen. Und wir wollen allen beweisen, dass wir Fußball spielen können», sagt der Angreifer von Zenit St. Petersburg. Für Russland sei jedes Gruppenspiel bereits ein Endspiel. Und an die heimische Presse gewandt: «Schreibt nicht so verdammt negativ.»

Seit Dezember 2010, als die WM 2018 Russland zugesprochen worden war, konnte sich das Land auf die Prestigeveranstaltung vorbereiten. Trainer und Verband sollten in Ruhe eine konkurrenzfähige Mannschaft aufbauen. «Diese Zeit ist aber nicht genutzt worden», schrieb das Moskauer Fachblatt «Sport-Express» vor kurzem. Im Ausland angeworbene Startrainer wie Guus Hiddink oder Fabio Capello strapazierten zwar die Nerven der Fans und die Kasse des Verbands. Aber eine Handschrift war bei ihnen ebenso wenig auszumachen wie ein Nachwuchsprogramm. Das Zusammenstellen eines Teams – es blieb für viele bloß Stückwerk.

Und Russlands Gegner? Durchaus selbstbewusst dürfte das in der Weltrangliste drei Plätze besser als Russland notierte Saudi-Arabien auflaufen. Das achtbare 1:2 im Testspiel bei Weltmeister Deutschland wird dem Außenseiter Auftrieb gegeben haben. «Fußballerisch gut, frech, klein, beweglich, flexibel, und am Ball sehr gewandt» sei das Team seines Kollegen Juan Antonio Pizzi, sagte Bundestrainer Joachim Löw. Vor allem auf Torhüter Abdullah Al-Mayouf wird es wohl im Luschniki-Stadion ankommen. Der Schützling von Saudi-Torwarttrainer Oliver Kahn zeigte bereits in Leverkusen eine starke Leistung.

Sollte Russland gegen Saudi-Arabien, Ägypten und Uruguay die Gruppenphase überstehen, wäre das ein Unikat. Noch nie schaffte die Sbornaja den Sprung ins WM-Achtelfinale. Für den ersehnten Sieg im Eröffnungsspiel bemüht der Gastgeber daher auch überirdische Kräfte: Der Ball kommt aus dem All. Zwei Monate lang umkreiste das Spielgerät an Bord der Raumstation ISS die Erde. Vor wenigen Tagen brachte ein Astronaut dann die kosmische Kugel aus der Schwerelosigkeit zurück.


(dpa)

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