Samara – Ein England, das Elfmeterschießen übersteht, kann auch Weltmeister werden! Das ist die feste Überzeugung aller Three Lions.
«Hier gibt es etwas zu gewinnen, und das wollen wir bald in beiden Händen halten», tönte Abwehrchef John Stones vor dem WM-Viertelfinale am Samstag (16.00 Uhr MESZ) in Samara gegen Schweden: «Ich will diesen Pokal gewinnen.»
Die feine britische Zurückhaltung, ein neues Merkmal unter Trainer Gareth Southgate nach Jahren der vor allem medialen Hochnäsigkeit, ist spätestens nach dem ersten Sieg in einem WM-Elfmeterschießen gegen Kolumbien wieder fester Entschlossenheit gewichen. «Zur Hölle mit jedem, der auf Zurückhaltung besteht», schrieb der «Guardian». Und Southgate sagte: «Ich will noch nicht nach Hause fahren. Wir wollen unsere Geschichte weiterschreiben.»
Allerdings versuchte der Trainer, die Euphorie um seine junge Mannschaft zu dämpfen. «Wir sind noch weit von Perfektion entfernt», sagte Southgate. «Die Mannschaft hat sich im vergangenen Jahr unglaublich entwickelt, aber wir haben noch einen langen Weg vor uns.»
Auf der Insel ist die Euphorie dennoch greifbar. Aus den Pubs dröhnt der Song «Three Lions» mit dem berühmten Refrain «Football’s Coming Home». Londons Bürgermeister Sadiq Khan plant schon Public-Viewings am Trafalgar Square und Hyde Park für Halbfinale und Endspiel. Und obwohl laut «Daily Mail» bis zu 5000 Pfund (rund 5600 Euro) für Schwarzmarkt-Tickets aufgerufen werden, sollen sich rund 5000 Fans auf den Weg nach Samara gemacht haben. Der «Telegraph» frohlockte bereits, dort erwarte sie «Strand und billiges Bier».
Doch all zu sicher sollten sich die Engländer dann doch nicht sein. Denn die Schweden sind der Favoritenschreck dieser gesamten WM-Phase, die personifizierten Spaßbremsen. In der Quali schlugen sie Frankreich und warfen die Niederlande raus, in den Play-off dann Italien und in der Gruppenphase Weltmeister Deutschland. «Wir haben Deutschland nicht rausgeworfen. Das war Südkorea», meinte der Leipziger Emil Forsberg nicht zu Unrecht. Dennoch holte sein Team trotz einer 1:2-Niederlage gegen das DFB-Team den Gruppensieg.
Und auch für England waren die Schweden bisher ein echter Angstgegner. «Wir haben eine ganz schlechte Bilanz gegen sie», sagte Southgate: «Wir haben sie jahrelang immer unterschätzt.» Von den acht Pflichtspielen bisher gewann England nur eines, von den letzten sieben Freundschaftsspielen ebenso. Doch für Schwedens Trainer Janne Andersson hat das keine Bedeutung. «Das ist Vergangenheit. Es sind die aktuellen Teams, die es morgen unter sich ausmachen.»
In Russland machen die Tre Kronor mit Teamgeist und unglaublich diszipliniertem Spiel den Gegnern das Leben schwer. «Es ist unglaublich schwierig, gegen uns zu spielen», sagte der Hamburger Albin Ekdal: «Wir fühlen uns total sicher, egal, wie der Gegner heißt.»
Besonders motiviert dürfte Abwehrchef Andreas Granqvist sein, der in der Nacht zum Freitag zum zweiten Mal Vater wurde. «Eine Tochter zu bekommen ist das Schönste, was es auf der Welt gibt. Und als Fußballer das Viertelfinale bei einer WM zu spielen ist ebenfalls etwas ganz Besonderes. Ich versuche es alles zu genießen», sagte der 33-Jährige.
Klar ist, dass beide Fußball-Geschichte für ihr Land schreiben können. Die Engländer standen zuletzt 1990 im Halbfinale, die Schweden 1994. Ihre einzigen Final-Teilnahmen sind sogar schon 52 beziehungsweise 60 Jahre her und waren im eigenen Land. England gewann damals immerhin auch durch das Wembley-Tor gegen Deutschland.
Southgate sensibilisiert sein Team jedenfalls schon mal dafür, dass es sich trotz der guten Entwicklung des englischen Fußballs um eine vielleicht einmalige Chance handelt. «In zwei Jahren wird unser Team noch besser sein, weil es mehr Erfahrung hat», sagte er: «Aber man weiß nie, wie es mit Verletzungen aussieht und ob die Karten wieder so gut liegen. Vielleicht kommt diese Gelegenheit nie wieder.»
Auch deshalb will er sie nutzen. «Es ist ein großes Privileg, in der Hand zu haben, dass jeder glücklich zur Arbeit geht. Das Leben vieler Menschen verändern zu können. Fußball kann ein ganzes Land verbinden. Ich bin glücklich, dass wir den Leuten Freude machen. Und das würde ich gerne weiterhin tun.»
(dpa)