Berlin – Angela Merkel betont wenige Tage vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft die sportliche Bedeutung der angefeindeten Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan für die deutsche Mannschaft.
«Ich finde, wir brauchen die jetzt alle, damit wir gut abschneiden», sagte die Bundeskanzlerin (CDU) bei Anne Will in der ARD. Sie äußerte sich damit erstmals öffentlich in der Debatte um die beiden türkischstämmigen Mittelfeldspieler, die sich Mitte Mai mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hatten fotografieren lassen. Sie gehören zur deutschen Nationalmannschaft, «und deshalb würde ich mich freuen, wenn mancher Fan auch klatschen könnte», betonte Merkel. «Ich glaube, die beiden Spieler haben nicht bedacht, was das Foto mit dem Präsidenten Erdogan auslöst.»
Merkel ist der Nationalmannschaft seit der WM 2006 in Deutschland eng verbunden. Zuletzt besuchte sie Löw und sein Team im Trainingslager in Südtirol. Für Aufsehen hatte sie gesorgt, als sie im Oktober 2010 nach einem Länderspiel in Berlin gegen die Türkei zusammen mit dem damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff in die Kabine der Nationalelf ging, dem halbnackten Özil gratulierte und die Fotos davon zur Veröffentlichung freigab. Özil war damals von den türkischen Fans ausgepfiffen worden, weil die ihm vorwarfen, dass er nicht für das Land seiner Vorfahren spielt.
Die Debatte um die Erdogan-Fotos beschäftigt höchste politische Kreise. Im vergangenen Monat hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Gündogan und Özil zu einem Gespräch in seinen Berliner Amtssitz eingeladen. In der Wochenzeitung «Die Zeit» hatte er dazu aufgefordert, den Fußballern Brücken zu bauen: «Wenn jemand nach einem Rückweg sucht, soll man helfen.» Am Tag nach Erscheinen des Interviews pfiffen viele Zuschauer den eingewechselten Gündogan beim WM-Test in Leverkusen gegen Saudi-Arabien (2:1) allerdings permanent aus. Özil fehlte wegen einer Verletzung.
Auch Weltmeister Philipp Lahm warb jetzt nochmals um Verständnis für Özil und Gündogan, die sich beim Treffen mit Erdogan auch zu gemeinsamen Fotos gestellt hatten. «Sie wissen, was sie an Deutschland haben, das wurde ihnen jetzt noch einmal verdeutlicht», sagte der ehemalige DFB-Kapitän dem «Kölner Stadt-Anzeiger» und «Express» (Montag): «So ist Deutschland eben auch – ein wenig widersprüchlich.»
Vor allem den 27 Jahre alten Gündogan belasten die öffentlichen Reaktionen sehr. «Mesut ist vielleicht eher in der Lage, die Dinge auszublenden und sich komplett auf den Fußball zu konzentrieren», sagte Joachim Löw dem Fachmagazin «Kicker» (Montag) schon vor den heftigen Pfiffen in Leverkusen. «Ilkay macht sich darüber viele Gedanken, ihn beschäftigt das, er hat mir das in mehreren Gesprächen mitgeteilt», ergänzte der Bundestrainer. Anders als Gündogan hat sich Özil öffentlich noch nicht zu dem Thema geäußert.
Auf die Frage, ob sie trotz ihrer Kritik am russischen Präsidenten Wladimir Putin zu Spielen der deutschen Mannschaft ins WM-Gastgeberland reisen werde, sagte Merkel in der ARD, dies könne gut sein. Solche Reisen verstießen nicht gegen ihre Prinzipien. Sie müsse ihre Entscheidung aber an die sonstigen Verpflichtungen anpassen. Die Fußball-Weltmeisterschaft sei an Russland vergeben worden, sie wünsche dem deutschen Team alles Gute. Falls sie nach Russland fahre, könne sie dies vielleicht sogar zu politischen Gesprächen nutzen – ohne Gespräche werde man in Konflikten überhaupt keine Lösung finden.
(dpa)