Dortmund – Wirklich wohl fühlte sich Lucien Favre nicht. Als Michael Zorc die BVB-Profis vor dem Ligagipfel beim FC Bayern mit Verweis auf die «Horrorbilanz» zu echtem «Männerfußball» aufforderte, wirkte der Dortmunder Fußball-Lehrer an der Seite des Sportdirektors etwas verloren.
Als Freund der leisen Töne sind ihm solch hemdsärmelige Appelle eher fremd. Anders als Zorc wählte der Schweizer bedächtigere Worte:« Wir respektieren die Bayern aus vielen Gründen, aber wir haben keine Angst.»
Der gemeinsame Auftritt des Trainers und des Sportdirektors vor der Presse ließ tief blicken. In einem über Jahre von einem «Menschenfänger» wie Jürgen Klopp geprägten und emotionalen Club wie Borussia Dortmund wirkt Favre in der Außendarstellung mitunter hilflos. Das störte zu Beginn seiner Amtszeit in der Saison 2018/19 nur wenige, weil der Mannschaft ein Traumstart gelang und der Coach allerorten als Bessermacher gefeiert wurde.
Doch nach dem holprigen Beginn dieser Spielzeit regte sich Kritik. Demnach überträgt sich Favres emotionslose und zurückhaltende Art auf die Mannschaft und nimmt ihr das Feuer. Dass der 62-Jährige mit dem von der Vereinsführung im Sommer ausgegebenen Meisterziel fremdelte, passte ins Bild.
Diese Vorwürfe hat sich der Fußball-Lehrer offenbar zu Herzen genommen. Zwar meidet er noch immer knallige Aussagen, tritt aber während des Spiels an der Seitenlinie ungleich emotionaler auf. So verzweifelte der vierte Offizielle beim umjubelten 3:2 über Inter Mailand am vergangenen Dienstag beim Versuch, den Coach in seine Schranken zu weisen. Wieder und wieder stürmte Favre wild gestikulierend aus seiner Coaching-Zone und versuchte sich im lauten Stadion bei seinen Spielern Gehör zu verschaffen. Das war ganz nach dem Geschmack von Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke: «Er ist sehr lebhaft momentan, gibt sehr viel vor. Das gefällt mir.»
Weil die Mannschaft seither ebenfalls lebhafter und mutiger wirkt, scheint ein Zusammenhang zu Favres aktiverem Coaching naheliegend. «Wahrscheinlich wird der Trainer das abstreiten. Aber er ist sehr lebhaft und kämpferisch. Er fordert von den Spielern Dinge ein, das finde ich sehr gut», kommentierte Sportdirektor Zorc. Favre hält diese Interpretation zwar für überzogen, kann damit aber leben: «Es ist gut, wenn er das sagt.»
Zur Erleichterung aller Beteiligten ist die Kritik an der Arbeit des Trainers vorerst verstummt. Nach den Erfolgen im Pokal über Mönchengladbach (2:1), in der Meisterschaft über Wolfsburg (3:0) und in der Champions League über Inter Mailand (3:2) scheint die Mannschaft im Aufwind und das zwischenzeitliche Leistungstief überwunden. Nach Meinung von Favre hat das jedoch weniger mit seinen lebhafteren Auftritten an der Seitenlinie als vielmehr mit einer besonnenen Aufarbeitung der Fehler zu tun: «Wir sind immer positiv geblieben. Unentschieden, die wir erzielt haben, waren nicht das Ende der Welt und nicht so schlecht, wie sie gemacht wurden.»
Ähnlich sah es Julian Brandt. Der Nationalspieler nutzte die Gunst der Stunde, um Favre aus dem langen Schatten von Jürgen Klopp zu verhelfen. «Viele wünschen sich ja hier in der Gegend einen Trainer, der an der Seitenlinie mehr macht. Aber hier sind 80.000 Zuschauer, den hörst du sowieso nicht», kommentierte er augenzwinkernd.
(dpa)