Hamburg – Wann ist der richtige Zeitpunkt aufzuhören? «Ich frage mich das selber oft», sagt Ludger Beerbaum, «und finde nicht die finale Antwort.» Nur eines ist für den Weltklasse-Springreiter sicher: «Der Tag wird kommen.» Nur wann? «Ich habe keinen Plan dafür. Ich weiß es wirklich nicht.»
Schon vor vielen Jahren hat der erfolgreichste Reiter der letzten drei Jahrzehnte sich die Frage nach dem Karriereende gestellt. «Mit 50 will ich nicht mehr im Sattel sitzen», lautete lange Zeit Beerbaums Standard-Antwort. Jetzt ist er 55 und reitet immer noch, von Mittwoch an beim Hamburger Spring-Derby in Klein-Flottbek.
Inzwischen sagt Beerbaum, dass er «nicht mehr mit 60 reiten» wolle. «So ein bisschen mache ich es noch. Für das Ende habe ich noch keinen Plan», sagt der viermalige Olympiasieger. «Ich will auf jeden Fall nicht ewig so rumkrebsen.»
Beerbaum ist der erfolgreichste Reiter seiner Generation. Kein anderer hat eine derart imposante Erfolgsbilanz: vier goldene Medaillen bei Olympia, zwei bei Weltmeisterschaften, sechs bei Europameisterschaften. Neunmal war er deutscher Meister – so oft wie kein anderer. Nur bei der Anzahl der olympischen Goldmedaillen war Hans Günter Winkler erfolgreicher, allerdings in einer ganz anderen Reit-Epoche mit weniger Konkurrenz.
«Meine Frau sagt: ‚Solange du Spaß daran hast, mach das, weil du dann entspannter bist’», verrät Beerbaum grinsend. Arundell Beerbaum hat recht. Inzwischen ist der Routinier tatsächlich entspannter. Der zuweilen gnadenlos wirkende Ehrgeiz früherer Tage ist einer manchmal überraschenden Milde gewichen. Es gab Zeiten, da war es eine verwegene Idee, ihn nach Niederlagen anzusprechen. Jetzt nimmt er es lockerer, wenn er der Konkurrenz hinterher reitet. Und das passiert immer häufiger.
Es ist das schleichende Ende einer großen Karriere. Die langjährige Nummer eins der Weltrangliste liegt nur noch auf Platz 40. Siege in Großen Preisen, die er Anfang des Jahrhunderts in bemerkenswerter Häufigkeit aneinanderreihte, sind seit ein paar Jahren die Ausnahme. Die bisher letzten gelangen ihm vor drei Jahren wie etwa in Hamburg.
Dunkle Flecken gab es in der strahlenden Karriere auch. 2004 verlor das deutsche Team Olympia-Gold, weil bei Beerbaums Pferd Betamethason gefunden wurde – was zwar nicht als Doping, aber als verbotene Medikation eingestuft worden war.
Und vor genau zehn Jahren schockte Beerbaum die Reitwelt, als er in Hamburg der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» gestand: «In der Vergangenheit hatte ich die Haltung: Erlaubt ist, was nicht gefunden wird.» Er fügte in dem Interview aber hinzu: «Das ist heute nicht mehr aufrechtzuerhalten.» Dennoch war er vom Verband für Ritte im Nationalteam zwischenzeitlich suspendiert worden.
Schon bald durfte Beerbaum aber wieder in der Nationalmannschaft reiten – und beendete vor drei Jahren diesen Teil der Karriere, nachdem er der deutschen Equipe bei den Olympischen Spielen in Rio mit dem entscheidenden Ritt die Bronze-Medaille gerettet hatte. «Es fällt mir schon schwer, diesen Schritt zu tun», gab er damals zu.
«Er hatte immer hohe Ansprüche an sich und an mich, er hat mich gefordert», sagt Bundestrainer Otto Becker – der mit Beerbaum schon als Reiter viele Erfolge gemeinsam feierte und sich mit ihm auch häufiger stritt.
Beerbaum ist nach seinem Abschied aus dem Nationalteam noch mehr als Unternehmer tätig, betreibt einen Turnierstall, eine Zuchtstation und Handel. Und er reitet weiter. «So ein Geschäftsmann bin ich gar nicht von Haus aus – natürlich habe ich einen Betrieb, aber ich bin nicht der prädestinierte» sagt er. «Das ist mehr mit Pferdebezug, nicht mit dem Dollarzeichen in den Augen.»
Mit seinen Ritten verdient er nur noch selten größere Summen. Es ist wohl eher die Leidenschaft, die ihn antreibt und weiter reiten lässt. Wie sehr Beerbaum seinen Sport noch immer liebt, das lässt sich am besten bei Turnieren auf dem Trainingsplatz beobachten. Wie er gestikuliert, wie er den Parcours wortreich erklärt und anschließend Fehler analysiert, das ist ein Schauspiel für sich.
«Ich bin primär vielleicht nicht mehr Reiter, aber pferdebezogener Mensch», sagt Beerbaum. «Das werde ich auch immer bleiben.» Und dann fügt er noch an: «Damit bin ich geboren – und ich werde damit auch ins Grab gehen.»
(dpa)