Berlin – Tore, Tore, Tore. Im Training unternimmt Joachim Löw alles, um ein Problem zu beheben, das die deutsche Nationalelf nicht erst seit der völlig verkorksten Fußball-Weltmeisterschaft verfolgt: Die Torarmut der Abteilung Attacke um Thomas Müller und Timo Werner.
Die Offensive hat Leichtigkeit und Tempo verloren, die Torquote ist rapide gesunken. Und das könnte Löws Auswahl nur wenige Monate nach dem Vorrunden-Aus in Russland bei der Nations-League-Premiere in die europäische Zweitklassigkeit stürzen. Oliver Bierhoff, als Spieler selbst DFB-Torjäger, spricht das drohende Unheil vor den kniffligen Auswärtsaufgaben am Samstag (20.45 Uhr) in den Niederlanden und direkt danach gegen Weltmeister Frankreich unverhohlen an.
«Der sportliche Anreiz ist da. Man will nicht absteigen», sagte der Teammanager zur neuen Nationenliga. Platz zwei in der Dreiergruppe mit Favorit Frankreich ist das Minimalziel. «Man will natürlich seine Position behaupten», sagte Bierhoff vor dem zweiten Spiel, und am Ende «zumindest nicht als Gruppenletzter» dastehen.
Die Franzosen, die schon zwei Partien ausgetragen haben, führen die Gruppe mit vier Punkten vor Deutschland (1) und Holland (0) an. Das Duell mit dem Erzrivalen in Amsterdam ist richtungsweisend. «Wir sind gewarnt», erklärte Bierhoff vor gleich «zwei schweren Spielen».
Was ist nur aus der einstigen Stürmer-Nation Deutschland geworden? In der Qualifikation für die WM-Endrunde in Russland schossen Müller und Kollegen noch Tore am Fließband: 43 waren es in zehn Partien, Schnitt 4,3. Dann brach die Quote ein: In elf Länderspielen seitdem fielen nur noch zehn Treffer, gleich fünfmal stand vorne sogar die Null.
«Wir haben die letzten Jahre sehr viel erfrischenden Fußball mit vielen Toren geboten», erinnerte Marcus Sorg. Aktuell laufe der Versuch, stabil zu stehen und gleichzeitig die Offensive zu forcieren. «Man darf sich in der Nations League nichts erlauben», mahnte Sorg. Auch darum setzt der Trainerstab weiter auf viel Routine im Team, von Boateng über Hummels und Kroos bis Müller. «Es ist unglaublich wichtig, dass man so eine Achse hat», betonte Sorg.
Beim Neustart im September war zu erkennen, dass der Pass in die Spitze schneller gesucht wurde. Trotzdem klingelte es vorne kaum: 0:0 gegen Frankreich, 2:1 gegen Peru. «Wir haben im Offensivspiel zu langsam agiert, zu behäbig, sind zu wenig in Konter gekommen nach Ballgewinn», benannte Julian Draxler die jüngsten Schwächen.
Ein neuer Miroslav Klose ist nicht in Sicht. Und Mario Gomez hat nach 31 Toren in 78 Länderspielen das Nationaltrikot abgelegt. Müller und Werner treffen nicht mehr regelmäßig. Hoffnungsträger Marco Reus, der mit Borussia Dortmund gerade einen tollen Lauf hat, sagte wegen Knieproblemen ab. In der Not holte Löw Schalkes Torlos-Stürmer Mark Uth. Und nach dem Ausfall von Leon Goretzka nominierte er dessen Münchner Außenstürmer-Kollegen Serge Gnabry nach.
Löw muss mit Blickrichtung EM 2020 die Jungen um den im DFB-Team gesetzten Leipziger Werner (22) forcieren. Neben Julian Brandt (22) gilt Leroy Sané dabei als verheißungsvolle Option. Der 23 Jahre alte Außenstürmer bringt eigentlich alle Voraussetzungen mit: Er ist pfeilschnell, spielt beim englischen Meister Manchester City auf höchstem Niveau – aber in der Nationalmannschaft zündet er nicht.
Sanés Zeit müsste jetzt kommen. «Ich hoffe, in den nächsten Spielen kriege ich meine Einsatzzeiten. Dann will ich mich zeigen», sagte der Angreifer. Die Ausbootung vor der WM stachelt ihn an. «Na klar war ich enttäuscht, dass ich nicht dabei war. Aber ich habe dazugelernt, bin noch motivierter. Es hat mit mir am Anfang nicht so gut funktioniert hier. Ich arbeite daran, dass ich taktisch besser reinpasse. Ich versuche, mich zu verbessern, damit der Jogi beim nächsten Mal keine Möglichkeit hat, mich nicht zu nominieren», sagte Sané. Holland und Frankreich – das sind zwei Gegner, gegen die der Tempodribbler Sané ein Trumpf sein könnte. Gerade auswärts.
«Wir sind interessiert, dass ein Spieler mit soviel Qualität und Talent mehr Einsatzzeiten bekommt», sagte Sorg zu Sané. Die Nations League wird in der Sportlichen Leitung schließlich als wertvolle Vorbereitung der jüngeren Generation auf die nächsten Turniere eingeordnet. Prüfungen mit einem erhöhten Pflichtspieldruck gegen Holland und Frankreich seien dafür ideal, meinte Manager Bierhoff: «Wir wollen als Mannschaft natürlich weiter wachsen Richtung EM 2020. Da sind diese Spiele gerade für junge Spieler enorm wichtig.»
(dpa)