Stuttgart – Thomas Müller ließ sich noch zu einem gemeinsamen Foto mit einem stolzen Papa und dessen Baby überreden, bevor er ins Stuttgarter Teamhotel abdrehte.
Große Lust zu reden über die Sorgen im Club und den Start in die WM-Saison aber hatten beim Treffpunkt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zu den beiden ersten Länderspielen 2017/18 weder der Bayern-Star noch dessen Kollegen.
Dafür wählte Joachim Löw noch vor dem ersten Training der DFB-Elf am Dienstag auf dem VfB-Gelände, bei dem der Hoffenheimer Serge Gnabry als einziger Akteur wegen eine Fußverletzung fehlte, deutliche Worte. «Eine Mannschaft, die sich weiterentwickeln will, braucht unbedingt den Konkurrenzkampf», erklärte Löw an einer Schnellstraße in der Stuttgarter Innenstadt. «Wenn man das Turnier als amtierender Weltmeister wieder gewinnen will, dann brauchst du von jedem Einzelnen eine super Performance.»
Die rapide gewachsene Auswahl an WM-Kandidaten für die WM 2018 durch den Confed-Cup-Sieg und den U21-Titel in diesem Sommer sieht Löw als «großes Geschenk» für ihn als Trainer. Das hat Konsequenzen für jeden einzelnen Spieler, der nach Russland möchte. «Das bedeutet natürlich auch, dass Potenzial, Talent und bislang gezeigte Leistungen kein Freifahrtschein sind. Die Saison ist für alle wichtig», sagte der DFB-Chefcoach und rief zum Start in die WM-Saison den «härtesten Konkurrenzkampf» in seiner 2006 begonnenen Amtszeit aus.
Bereits der Auftakt der Weltmeisterschaftssaison mit den Qualifikationspartien am Freitag in Prag gegen Tschechien sowie drei Tage später in Stuttgart gegen Norwegen soll allen Spielern und Fans Lust machen auf den Sommer 2018. «Wir streben zwei Siege an. Und das Selbstbewusstsein haben wir auch zu sagen, das werden wir schaffen», betonte Löw. «Wir wollen uns möglichst früh qualifizieren, uns richtig vorbereiten, das Jahr konsequent durchziehen, damit wir im nächsten Jahr erfolgreich sein können», sagte der 57-Jährige.
Löw wirkte nach seinem Urlaub blendend erholt und selbst topfit sowie hochmotiviert für die kommenden intensiven Monate. «Zumindest seit ich dabei bin, war die Auswahl noch nie so groß», sagte Löw zur Personalsituation. Der Bundestrainer hat 17 Confed-Cup-Gewinner in seinen ersten Saisonkader berufen, in Serge Gnabry auch einen U21-Europameister. Dazu kehren die Weltmeister Müller, Mats Hummels, Toni Kroos, Sami Khedira und Mesut Özil sowie Torjäger Mario Gomez ins DFB-Team zurück.
«Jeder Spieler muss Konkurrenzkampf spüren, auch wenn er schon einmal Weltmeister geworden ist. Wenn der nicht vorhanden ist, wird man einen solchen Titel nicht wiederholen können», betonte Löw im Interview der «Stuttgarter Zeitung» und der «Stuttgarter Nachrichten» (Dienstag). «Am Ende gibt es 23 Plätze im WM-Kader. Daher wissen auch die etablierten Spieler: Sie müssen immer an ihrem Leistungslimit spielen, um in der Mannschaft zu bleiben.»
Trotzdem sind Müller, Kroos und Co. im Vorteil. Die nachrückenden jungen Spieler sieht Löw weiterhin in der Entwicklung: «Einige sind großartige Talente, müssen sich aber noch verbessern. Das ist schon noch ein großer Schritt Richtung Weltspitze.» Der 27-jährige Müller hat schon bewiesen, dass er international zur Spitze zählt. Deshalb lässt Löw auch keine Diskussionen über seine Stammkraft, die beim FC Bayern auch in dieser Saison schon wieder unzufrieden scheint, zu.
Bevor er auf dem VfB-Amateurplatz das Training anpfiff, informierte sich Löw lange und intensiv bei Müller. «Ich weiß nicht, ob er Selbstvertrauen tanken muss. Er hat jetzt bei Bayern einmal nicht von Anfang an gespielt, okay. Aber bei uns hat er ja immer seine Leistungen gezeigt», unterstrich Löw. «Er hat immer viele Tore erzielt. Er ist ein unheimlich positiver Faktor in unserem Team. Er ist ein Führungsspieler.» Und für Freitag in Prag gesetzt.
Löw hat schon seit dem WM-Gewinn 2014 in Brasilien das Gefühl, dass seine Mannschaft noch nicht am Limit ist. «Das ist jetzt die große Herausforderung und der Reiz: den WM-Titel zu bestätigen, die Emotionen dieses Triumphs noch einmal zu haben. Wir können Historisches schaffen: Weltmeister, Confed-Cup-Sieger und noch einmal Weltmeister – das hat es noch nie gegeben. Meine Motivation hat sich in den vergangenen Jahren vielleicht sogar noch etwas gesteigert», sagte Löw, der im zwölften Jahr Bundestrainer ist.
Wie schnell man selbst als Weltmeister aus dem Kader rutschen kann, zeigen die Beispiele der Abwehrkräfte Benedikt Höwedes (Schalke 04) und Shkodran Mustafi (FC Arsenal). Auf Kapitän Manuel Neuer verzichtete Löw nach dessen Fußverletzung noch einmal. «Ich habe ihm gesagt, es ist ein bisschen unvernünftig, nach dreimonatiger Pause und einem Spiel irgendwie jetzt alles zu riskieren», erläuterte Löw noch einmal. Auch der lange erkrankte Dortmunder Mario Götze wird frühestens im Oktober in den Elite-Kreis zurückkehren.
Im Idealfall könnte der WM-Champion, der die Gruppe C nach sechs Siegen souverän mit 18 Punkten anführt, schon beim anstehenden Quali-Doppelpack das WM-Ticket für Russland fix buchen. Nach zwei Trainingstagen fliegt der DFB-Tross am Donnerstag nach Prag.
(dpa)