Cortina d’Ampezzo – Das Wochenende in Cortina d’Ampezzo lief nicht nach dem Geschmack von Lindsey Vonn. Sturz im Training am Freitag, Sturz in der Abfahrt am Samstag – mit dem geschundenen Körper war Rang zwölf im Super-G am Sonntag schon fast wieder ein gutes Ergebnis.
Vor der Anreise zu den Weltmeisterschaften nach St. Moritz in einer Woche nimmt sich die erfolgreichste Skirennfahrerin der Geschichte nun eine kurze Pause. Aber wirklich nur eine kurze Pause. Denn mit Schmerzen kann die 32-Jährige umgehen, berichtete sie im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Frau Vonn, wann haben Sie gelernt Schmerz zu ignorieren?
Lindsey Vonn:Das stört mich einfach nicht so. Es ist nur Schmerz. Das ist alles in deinem Kopf. Ich hatte mal einen Trainer aus Polen, wir haben einen Sommer lang in Monaco zusammen trainiert. Er hat mich so lange rennen lassen, bis ich mich übergeben musste. Er sagte: Es ist nur hart, wenn du glaubst, dass es hart ist. Er hat mir beigebracht, wie ich mich bis ans Limit pushe. Man kann eine Menge überstehen, solange man nicht glaubt, dass es eine große Sache ist.
Steckt das in jedem oder sind Sie einfach besonders gut darin?
Vonn: Ich denke, ich bin gut darin, aber auch, dass man das lernen kann. Als ich jung war habe ich auch nicht gerne trainiert.
Mögen Sie das inzwischen oder tun Sie halt, was nötig ist?
Vonn: Beides. Ich mag es zu trainieren und ich mag es zu gewinnen. Ich mache einfach, was getan werden muss. Aber deswegen sitze ich nicht gerne zwei Stunden lang auf einem Hometrainer. Ich will einfach gewinnen. Man muss eine gewisse Einstellung haben beim Training und Disziplin, wenn man die Beste sein möchte. Das akzeptiere ich. Als ich noch jung war, habe ich nicht verstanden, was harte Arbeit ist.
Wie viel Schmerz verursacht ein Skirennen derzeit?
Vonn: Gar nicht so viel. Ich kümmere mich um meinen Körper. Klar, mein Knie tut weh, aber das ist normal. Das hängt vom Tag ab. Wenn es kalt ist und ich lange stehen muss, schmerzt es da und im Rücken.
Sie haben diese Reha als härteste ihrer Karriere bezeichnet. Dabei haben Sie sich in sehr intimen Momenten filmen lassen. Warum?
Vonn: Um ehrlich zu sein: Ich habe dieser Doku von Eurosport zugesagt, «Chasing History». Da sollte es darum gehen, wie ich versuche, Geschichte zu schreiben. Nicht, wie ich mich von einem Oberarmbruch erhole. Die ersten zwei Monate habe ich mich selbst gefilmt. Auch meine Therapeutin hat das gemacht, weil wir den Fortschritt sehen wollten. Es gab jeden Tag eine Kleinigkeit, das haben wir festgehalten. Das sehen zu können, ist mental wichtig.
Sie haben Depressionen. Wie schwierig ist es dann, speziell in einer Reha positiv zu bleiben?
Vonn: Das ist sehr schwer. Ich musste bald weg vom Schnee. Das hat mich wirklich deprimiert. Jeder hat trainiert und war Skifahren. Ich musste Skifahren deswegen komplett aus meinen Gedanken verbannen und mich nur auf die Hand konzentrieren. Ich bin deswegen nach LA und habe Zeit mit meiner Schwester verbracht. In einer Reha brauche ich Ziele und darf mich keinesfalls damit aufhalten, was ich nicht kann: Skifahren. Da kenne ich mich inzwischen, und ich weiß, wie ich es schaffe, positiv zu bleiben – oder es zumindest versuchen kann.
Wenn es darum geht zu erklären, was Sie antreibt, dann kommt irgendwann der Punkt: Sie wollen zurückzahlen, was ihre Familie beispielsweise mit dem Umzug von Minnesota nach Colorado aufgegeben hat, damit Sie gut werden können. Ist das denn immer noch so?
Vonn: Olympia-Gold 2010 war das letzte Mal, dass ich wirklich das Gefühl hatte, das habe ich für meine Familie gemacht. Das war immer das Ziel, seit ich ein Kind war: Olympiasiegerin. Seither geht es darum, besser zu werden, schneller, mehr zu gewinnen. Je länger ich Ski fahre, desto mehr Rekorde breche ich, an die ich nie zu glauben gewagt hätte. Ich fordere mich selbst heraus. Ich fahre für mich.
Die 86 Weltcup-Siege von Ingemar Stenmark sind in Reichweite. Sie stehen derzeit bei 77. Was würde Ihnen dieser Rekord bedeuten?
Vonn: Das wäre unglaublich. In einer Million Jahren hätte ich nicht geglaubt, dass ich auch nur in seine Nähe komme. Ich brauche aber noch zehn Siege, um den Rekord zu brechen. Das ist noch ein Weg.
Haben Sie eine Art Favoritenliste für ihre Ziele? Ist der Stenmark-Rekord etwa wichtiger als ein zweites Mal Olympia-Gold?
Vonn: Der Rekord von Stenmark ist das Wichtigste. Das ist der eine Rekord, den ich will. Klar, ich will noch eine Chance, um Gold bei Olympia zu holen. Aber wenn ich irgendwann aufhöre, zurückschaue und mich frage: Was war mir am wichtigsten? Dann ist es dieser Rekord, sollte ich das schaffen.
Bevor der Rekord fällt oder es zu Olympia geht, steht nun erst mal die WM an. Welche Ziele haben Sie für St. Moritz?
Vonn: Ich will Medaillen. In der Abfahrt fühle ich mich sicher. Im Super-G ist etwas schwieriger ohne Training.
Was trauen Sie sich zu?
Vonn: Zwei sind realistisch.
Zweimal Gold?
Vonn: Das ist möglich. Lara (Gut) wird schwer zu schlagen sein. Aber ich kenne diesen Berg. Ich weiß, wie man schnell fährt.
In welchen Disziplinen treten Sie an?
Vonn: Abfahrt, Super-G und in der Kombination. Riesenslalom ist noch unklar.
ann Teamkollegin Mikaela Shiffrin, die erst 21 Jahre alt ist aber Sieg über Sieg feiert, Ihnen bei den Rekorden gefährlich werden?
Vonn: Ja. Ich war viel älter, als ich angefangen habe, zu gewinnen. Aber ich hatte fünf, sechs Jahre, in denen ich wirklich konstant war. Ich hoffe, dass sie ihre Konstanz beibehalten kann. Das ist das härteste, nach Verletzungen zu gewinnen. Das weiß sie.
Ist die nächste auch Ihre letzte Verletzung und Sie hören auf? Oder würden Sie wieder kommen wegen Olympia?
Vonn: Ich würde zurück kommen. Ich habe noch Ziele. Den Rekord von Stenmark. Die Olympischen Spiele. Das sind große Ziele. Es muss viel passieren, um mich auf dem Weg dorthin aufzuhalten.
ZUR PERSON: Die US-Amerikanerin Lindsey Vonn ist die erfolgreichste Skirennfahrerin der Weltcup-Geschichte. Die 32-Jährige war lange Zeit eine Allrounderin, konzentriert sich nach ihren Verletzungen aber fast nur noch auf die Speeddisziplinen Super-G und Abfahrt.
(dpa)