Klopps Meisterstück: Liverpool vor lang ersehntem Triumph

Liverpool – Jürgen Klopps Bart ist grauer geworden seit dem 8. Oktober 2015, als der deutsche Fußballtrainer seine Unterschrift unter den Vertrag mit dem traditionsreichen FC Liverpool setzte – oder das zumindest für ein medienwirksames Foto mit dem damaligen Clubboss Ian Ayre nachstellte.

Als «The Normal One», der Normale, stellte er sich damals vor. Vier Jahre und rund acht Monate später ist Klopp «The Successful One», der Erfolgreiche, und steht kurz vor seinem größten Triumph in England.

Sein FC Liverpool braucht nur noch sechs Punkte, um erstmals seit 30 Jahren englischer Fußballmeister zu werden – und damit zum ersten Mal überhaupt die Premier League zu gewinnen. Im ersten Spiel nach der Corona-Pause, dem Lokalderby beim FC Everton, wollen die Reds am Sonntagabend den nächsten Schritt gehen, um dann am 24. Juni im Heimspiel gegen Crystal Palace das Meisterstück perfekt zu machen.

Sollte Titelverteidiger Man City, der 22 Punkte Rückstand auf den Spitzenreiter hat, zuvor am Montagabend wider Erwarten gegen den FC Burnley verlieren, würden die Reds schon vorher beim Zuschauen Meister. Das aber wünschen sich die Liverpool-Fans wohl kaum. Es ist schon bitter genug, dass sie nicht mal im oder am Stadion feiern dürfen, wenn drei Jahrzehnte Titelsehnsucht endlich ein Ende haben.

«Bleibt gesund, und bleibt zuhause!» Vor dem Wiederanpfiff in der Premier League wandte sich Jürgen Klopp mit einer Videobotschaft an die Fans. «Es wird völlig anders», sagte der Coach über die Spiele vor leeren Rängen, «aber es ist immer noch Fußball, und es ist immer noch für euch. Das heißt, wir sind im Stadion, und ihr seid zuhause. Ich verspreche euch, wir werden eure Unterstützung spüren.»

Ob sich alle Fans daran halten? Der Meistertitel ist am Mersey River nach der langen, fast traumatischen Wartezeit noch mehr wert als der Champions-League-Triumph im Vorjahr. Auch wenn Klopp und seine Spieler mehrfach betonten, wie wichtig jeder Wettbewerb sei, ist klar: Die Premier League stand in dieser Saison über allem. Und die Meisterschaft lässt ein wenig vergessen, dass die Reds in diesem Jahr in den anderen Wettbewerben enttäuschten.

Der unbedeutende Ligapokal wurde wegen zeitlicher Überschneidung zugunsten des Weltpokals abgeschenkt. Im FA Cup hingegen tat sich Liverpool gegen den Drittligisten Shrewsbury Town erstaunlich schwer und musste ein Nachholspiel bestreiten, nur um dann im Achtelfinale beim FC Chelsea zu scheitern. Im Achtelfinale der Champions League verlor der Titelverteidiger das Hin- und das Rückspiel gegen Atlético Madrid. Aber wen kümmert das an der Merseyside jetzt noch?

Bei seiner Vorstellung in Anfield bat Klopp um Zeit, um etwas entwickeln zu können. «Wir müssen geduldig sein», warnte der Trainer, der mit Borussia Dortmund zweimal die deutsche Meisterschaft und einmal den DFB-Pokal geholt hatte. «Ich kann keine Titel versprechen. Aber wenn wir uns hier in vier Jahren wiedersehen sollten, dann haben wir wohl einen Titel gewonnen.»

Klopp behielt recht. Leider wurde der Erfolg in der Königsklasse nach einem relativ unansehnlichen Endspiel gegen Liga-Konkurrent Tottenham Hotspur (2:0) leicht getrübt, weil der Meistertitel so knapp verpasst wurde. Ein Punkt trennte das Team am Ende vom Rivalen Manchester City. Liverpool hatte nur ein einziges Spiel verloren – am 3. Januar 2019 unglücklicherweise gegen die Citizens.

In der laufenden Saison besiegte die Klopp-Elf den Guardiola-Club zuhause klar mit 3:1. Wenn die beiden Spitzenteams am 2. Juli in Manchester erneut aufeinandertreffen, geht es nur noch ums Prestige. Die Meisterschaft wird entschieden sein. Der hohe Vorsprung der Reds muss sich für City-Fans wie eine Demütigung anfühlen. Immerhin: Hämische Gesänge bleiben City im leeren Stadion erspart.

Die Meisterfeier soll laut Klopp in großem Stil nachgeholt werden, sobald das wieder möglich ist. Auch eine Parade durch die Stadt soll es dann geben. Der frühere Liverpool-Profi Steven Gerrard forderte im Online-Magazin «The Athletic» zudem ein Denkmal für Jürgen Klopp.

Erfolgstrainer Bob Paisley wurde erst im Januar, rund 24 Jahre nach seinem Tod, mit einer Bronzestatue am Stadion gewürdigt. Eine Statue von Trainerlegende Bill Shankly wurde 1997 rund 16 Jahre nach dessen Tod errichtet. Und Liverpools letzter Meistertrainer, Kenny Dalglish, auch er eine Vereinsikone, hat bisher gar kein Denkmal in Anfield.

Gerrard ist trotzdem zuversichtlich. «Im Fußball warten wir oft, bis die Leute älter werden, bevor ihre Verdienste richtig anerkannt werden, aber ich weiß, dass den Liverpool-Besitzern das nicht passieren wird», sagte er. «Wenn Jürgen die Meisterschaft holt, dann sollten sie schon mit der Arbeit an einer Statue von ihm anfangen.»


(dpa)

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