Moskau – Auch nach dem Ende ihrer WM-Träume sind die prägenden Figuren des vergangenen Jahrzehnts in Russland allgegenwärtig.
Lionel Messi preist in Dauerschleife des Fernsehens die Vorzüge einer Privatbank an, Cristiano Ronaldo grinst von überdimensionalen Werbe-Plakaten auf Moskauer Prachtstraßen. Das frühe sportliche Scheitern rückt aber unweigerlich die Erbfrage in den Fokus: Wer übernimmt beim nahenden Schluss der Ära Messi/Ronaldo die Rolle als weltweit führende und vermarktbare Ikone des Weltfußballs – oder wandelt sich der Superstar-Dualismus zur Herrschaft der Vielen?
Kylian Mbappé (19), Harry Kane (24), Mohamed Salah (26), Antoine Griezmann (27), Dele Alli (22), Philippe Coutinho (26), Romelu Lukaku (25) – die Liste der potenziellen Kronprinzen ist zwar lang. Sie alle eint aber, dass sie derzeit noch nicht die globale Strahlkraft des Über-Duos besitzen. Einzig Brasiliens Neymar (26) hat durch seinen 222-Millionen-Euro-Wechsel zu Paris Saint-Germain bereits ein ähnliches Popularitätslevel erreicht. In der Statistik der am meisten erwähnten Spieler auf Twitter führte Neymar in der WM-Vorrunde schon vor Ronaldo und Messi, gefolgt von Coutinho, Diego Costa und durch seinen Freistoß-Treffer auch Toni Kroos.
Was braucht es also für einen Weltstar?
HISTORIE
Bei der Frage nach der Zukunft lohnt der Blick in die Vergangenheit. Seit einer Dekade spielen fast ausschließlich Ronaldo und Messi die Hauptrolle bei den großen individuellen Saison-Auszeichnungen: Von 21 Trophäen gingen 19 an Ronaldo (11) und Messi (8), die sich dabei jeweils fünfmal als Weltfußballer krönen ließen. In den zehn Jahren, bevor ihre Regentschaft begann, teilten sich diese Trophäe dagegen gleich sieben Spieler: Zinédine Zidane (Frankreich), Rivaldo (Brasilien), Luis Figo (Portugal), Ronaldo, Ronaldinho (beide Brasilien), Fabio Cannavaro (Italien) und Kaká (Brasilien). Die Dauer-Dominanz eines Weltstars ist damit die Ausnahme – und kommt ansonsten höchstens in Zeiten von Pelé oder Diego Maradona vor.
SPORTLICHER ERFOLG
Der nächste Weltstar benötigt nicht zwingend den WM-Triumph. Sollten sich Ronaldo und Messi nicht kurz vor der Rente in Katar 2022 noch ihre Weltmeister-Sehnsucht erfüllen, eint sie das titellose Schicksal mit Größen wie Ferenc Puskas, Eusebio oder Johan Cruyff. Neben Champions-League-Großtaten als Pflicht sollte es ein Mindestmaß Glanz im Nationalteam aber schon sein – weshalb es für Ägyptens Salah schwer wird. Die Ex-Weltfußballer George Weah (Liberia), Pavel Nedved (Tschechien) und Andrej Schewtschenko (Ukraine) werden immer eher die dritte Reihe in der Ahnengalerie bleiben.
TORE
Welchen Rekord haben Messi/Ronaldo schon wieder gebrochen? Ein Teil des Hypes machen die Tor-Superlative aus, so dass sich die Rolle als (Flügel)-Stürmer anbietet. Als letzter großer Zehner dankte Zidane vor zwölf Jahren ab, auch Spaniens Andrés Iniesta oder Xavi konnten die Mittelfeld-Lücke nie ganz füllen. Vorteil Kane, Mbappé und Lukaku gegenüber Alli und Coutinho, deren Spiel nicht primär auf den Abschluss fokussiert ist.
VERMARKTBARKEIT
Die Ausnahmestellung von Messi und Ronaldo wird auch durch ihre Einnahmen verdeutlicht. Auf der Forbes-Liste der reichsten Sportler liegt der Argentinier mit 111 Millionen US-Dollar durch Gehalt und Werbung auf Rang zwei, gefolgt vom Portugiesen (108). Neymar ist Fünfter (90) – als nächster Fußballer kommt Gareth Bale (34,6) erst auf Platz 35. Das Beispiel des Walisers zeigt, dass auch eher bodenständigere Charaktere wie Kane und Griezmann das Potenzial haben können. Der Sprung in die finanzielle Top-Kategorie gelang Bale aber erst durch den Wechsel zu Real Madrid – auch durch den Vorteil der Vermarktbarkeit in der spanischsprachigen Welt.
So ist das Feld offen wie lange nicht mehr. Wenn am 24. September der nächste Weltfußballer gekürt wird, könnte Ronaldo durch den Königsklassen-Triumph mit Real nochmal vorne liegen. Schon bei dieser WM könnte aber auch bereits die Ablösung anstehen. Oder wie es der russische «Sport-Express» seinen Lesern für den restlichen WM-Weg versprach: «Es wird immer noch viele tolle Fußballer geben, von denen jeder in der Lage ist, Ihr Lieblingsspieler zu werden. Nicht der, den man Ihnen aufzwingt, sondern Ihr eigener.»
(dpa)