München – In die Vorzüge eines japanischen Reisepasses ist Dagur Sigurdsson längst eingeweiht. Drei Jahre spielte der frühere Bundestrainer der deutschen Handballer bei Wakunaga Hiroshima und betreut seit seinem Abgang beim DHB Anfang 2017 die Auswahl von Nippon.
Mehr als 180 Länder können die Besitzer eines japanischen Reisepasses ohne Visum bereisen, berichtete Sigurdsson bei einem Symposium in München vor dem Start in die Handball-WM.
Der Isländer zeigte bei seinem Vortrag Bilder reizender Landschaften, sehenswerter Kirschblüten, imposanter Tempelarchitektur, pünktlicher Hightech-Züge oder auch köstlichen Sushis – alles Gründe, in Japan zu bleiben. Das Fernweh in Fernost ist nach Sigurdssons Einschätzung auch trotz des wertvollen Reisepasses einfach nicht so ausgeprägt, wie er es sich als Nationaltrainer eines Entwicklungslands im Handball wünschen würde. «Das ist mein Problem, die kennen nichts anderes als ihr Zuhause», meinte er.
Sigurdsson hat eine schwere, aber auch reizvolle Aufgabe übernommen. Das wird er auch beim WM-Auftakt seiner Mannschaft am Freitag gegen Mazedonien in der Olympiahalle so erleben. Rund 140 Tage kann der Erfolgstrainer, der mit Deutschland 2016 den EM-Titel und dann bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro Bronze holte, mit seiner Mannschaft im Jahr arbeiten.
Das ist ein Luxus, den ihm der Verband mit Blick auf Olympia 2020 in Tokio gönnt, ja gönnen muss, denn Japan hat viel aufzuholen. Sigurdssons Berechnung nach kommt sein Nachfolger beim Deutschen Handballbund (DHB), Christian Prokop, gerade mal auf etwa 60 Tage Teamarbeit. «Nach zwei Jahren harter Arbeit bin ich ein bisschen stolz, man sieht jetzt etwas Licht», befand der 45-Jährige, der in Asien nach eigener Einschätzung eine neue Frische gewonnen hat.
Aus nur neun Mannschaften besteht Japans erste Handball-Liga – in Deutschland sind es 18 Teams. Sigurdssons Kandidaten sind zudem bei Firmenteams angestellt, was bedeutet, dass sie tagsüber noch arbeiten müssen und erst nach Feierabend trainieren können. Ein Wechsel ins Ausland, um Erfahrung auf höherem Niveau zu sammeln, sei da auch nicht sonderlich attraktiv, erzählte er, da die Spieler dadurch ihren Arbeitsplatz in der Heimat aufs Spiel setzen würden.
Bei der WM 2017, als Sigurdsson mit Deutschland schon in der ersten K.o.-Runde an Katar scheiterte, schied Japan punktlos bereits in der Gruppenphase aus. Nippon habe damals die wenigsten Zeitstrafen kassiert und Platz eins der Fairplay-Wertung belegt, referierte der langjährige Coach der Füchse Berlin. Zu viel Respekt vor dem Gegner, zu wenig Körperlichkeit und Härte im Zweikampf soll das bedeuten. «Bad Boys sind wir nicht», urteilte Sigurdsson lachend, dessen DHB-Spieler noch als «Böse Buben» bezeichnet worden waren.
Japan ist anders. Hierarchien sind ausgeprägter, die Achtung vor dem Alter höher, und durchschnittlich sind die Asiaten sowohl leichter als auch kleiner als etwa Deutsche. Das sind in einem Kontaktsport wie Handball durchaus Nachteile. Deshalb lädt Sigurdsson auch regelmäßig isländische Erstligaspieler ins Trainingszentrum im Stadtteil Ikebukuro ein, um gegen seine Männer zu spielen und dadurch Wettkampfhärte zu gewinnen.
Die Endrunde in Deutschland und Dänemark bezeichnet er als eine «Nummer zu groß» für seine Mannschaft. Die Spiele auf höchstem Niveau seien aber «Gold wert», befand Sigurdsson. «Er hat Unglaubliches für den deutschen Handball geleistet», lobte DHB-Vizepräsident Bob Hanning bei dessen Abschied. Gegen solche Worte nach dem Ende seiner Nippon-Mission hätte Sigurdsson sicher nichts.
(dpa)