Amsterdam – Es ist ein ungewöhnliches Bild in den niederländischen Städten: kein Orange, keine Flaggen. Sonst ist es Tradition, dass während eines internationalen Fußball-Turniers ganze Straßenzüge mit den Farben der Nationalmannschaft verziert sind.
In ihrem Oranje-Fieber kennen die Holländer gar nichts und machen sogar vor dem Bier nicht halt und färben es orange. Aber selbst das ist jetzt wie immer gelb. Zur Zeit könnte man fast vergessen, dass in Russland Fußball gespielt wird.
Eine WM ohne Oranje – das ist und bleibt bitter. Auch für den früheren Oranje-Kapitän und Bayern-Stürmer Arjen Robben. «Mein Sohn sammelt die Panini-Bilder», erzählte er niederländischen Reportern. «Das ist schon merkwürdig, dass wir nicht dabei sind. Ich sehe alle möglichen Spieler, von denen ich noch nie gehört habe.»
Doch ganz so schlimm ist die nationale Fußball-Trauer nun auch wieder nicht. Die Holländer haben sich nämlich schon daran gewöhnt, dass sie bei einem internationalen Turnier nicht mitmachen. Schon vor zwei Jahren hatte der WM-Dritte von 2014 die Europameisterschaft verpasst. Jetzt tragen sie sogar Spott der Nachbarn Deutschland und Belgien mit Fassung.
Und weil die Nationalmannschaft von Robben und Co. dem Volk die Oranje-Party verdorben hat, machen sich die Niederländer eben selbst eine. In Amsterdam etwa findet die «WM Niederlande» statt, ein Multikulti-Fußballturnier. In der süd-niederländischen Provinz Brabant spielen Firmen-Teams um einen WM-Pokal.
Wer unter Oranje-Entzugserscheinungen leidet, kann besondere Nostalgie-Events in Kneipen besuchen – mit den schönsten Spielen der Nationalmannschaft aus der Geschichte. Großer Vorteil: Oranje gewinnt immer. Beliebt sind dabei besonders die EM-Spiele von 1988. Damals errangen die Niederlande ihren bisher einzigen internationalen Titel.
Echte Fans aber, und das sind noch immer viele, verfolgen die WM im Fernsehen. Alle Spiele werden gezeigt, dazu gibt es täglich mehrere WM-Talkshows. Auch wenn im Vergleich zu Turnieren mit niederländischer Beteiligung das Angebot eher mager ist, haben die Fußball-Programme durchaus hohe Einschaltquoten.
Spitzenspiele werden von mehr als 2,5 Millionen Zuschauern gesehen. Und nach der Gruppenphase werden das noch mehr, prophezeit der Sportchef des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, Maarten Nooter: «Wenn dann nur noch die großen Länder spielen, nimmt die Zahl der Zuschauer zu. Am Ende sitzt jeder vor der Glotze.»
Die meisten Niederländer drücken übrigens ihren Nachbarn im Süden, den belgischen Roten Teufeln, die Daumen. Das hat aber nichts mit früherer anti-deutscher Stimmung zu tun, die sich besonders bei Fußballturnieren oft sehr unschön äußerte.
Im Gegenteil: Die Deutschen sind inzwischen die Lieblingsnachbarn der Niederländer. Viele halten zum Team von Joachim Löw, auch wenn sie von den Leistungen bislang enttäuscht sind. Von klammheimlicher Freude über die Niederlage gegen Mexiko ist in den Niederlanden aber keine Spur. Heute würden sie ihre Häme-Hymne von früheren Turnieren wohl ganz ernst meinen: «Schade Deutschland, alles ist vorbei.»
(dpa)