Heiße Handspiel-Debatte im Liga-Endspurt – «Gedanken machen»

Berlin – Lucien Favre redete sich wieder einmal in Rage. Nach der Dortmunder Derby-Niederlage gegen Schalke 04 sprach der BVB-Coach wegen der Elfmeterentscheidung nach Handspiel von Julian Weigl vom «größten Skandal im Fußball seit Jahren».

Auch Bayern-Coach Niko Kovac und Leipzigs Ralf Rangnick sind wie viele andere Trainer weiterhin nicht glücklich. Die Auslegung der Handspiel-Regel sorgt im Saison-Endspurt der Fußball-Bundesliga für Unmut und Diskussionen.

«Die Regelhüter müssen sich wirklich ernsthaft Gedanken machen. Mir kommt es vor, als ob mittlerweile willkürlich Hand oder keine Hand entschieden wird», sagte Borussia Mönchengladbachs scheidender Coach Dieter Hecking zum Aufregerthema in einer Zitate-Sammlung aller 18 Bundesliga-Coaches der «Sport Bild». «Da noch einmal eine einheitliche Lösung reinzukriegen, das ist eine große Aufgabe», sagte Hecking.

Warum ist die Handspielregel so kompliziert?

Das Problem: Der Text in den internationalen Fußball-Regeln ist nicht eindeutig. Die Ausführung in Regel 12 erlaubt dem Schiedsrichter nicht nur Interpretationen, sie verlangt sie sogar.

Dort heißt es: «Ein Handspiel liegt vor, wenn ein Spieler den Ball absichtlich mit der Hand oder dem Arm berührt. Folgendes ist zu berücksichtigen: • die Bewegung der Hand zum Ball (nicht des Balls zur Hand), • die Entfernung zwischen Gegner und Ball (unerwarteter Ball), • die Position der Hand (das Berühren des Balls an sich ist noch kein Vergehen)»

Wieso sorgt der Video-Schiedsrichter nicht für Klarheit?

So deutlich der Video-Assistent bei Abseitsfragen helfen kann, so schwammig bleibt sein Urteil beim Handspiel. Letztlich kann auch im Kölner Keller oft nur interpretiert werden, ob das Handspiel nun strafbar ist oder nicht. Die Problemlösung wird also quasi nur verlagert.

Da viele früher vom Schiedsrichter nicht wahrgenommene oder nicht geahndete Handspiele nun durch den Eingriff des Video-Assistenten überhaupt erst diskutiert werden, bekommt das Thema sogar eine viel größere Bedeutung und viel mehr Brisanz.

Wie reagiert der DFB auf die Probleme?

So viel Transparenz in Schiedsrichter-Fragen war beim DFB lange Zeit nicht selbstverständlich: Nach dem Pfiff in Dortmund ließ der Verband seine Referee-Chefs Lutz Michael Fröhlich und Jochen Drees in einem Interview auf der eigenen Homepage die Lage erörtern. Im Gegensatz zum öffentlich als falsch deklarierten Elfmeterpfiff für Bayern München im Pokalhalbfinale bei Werder Bremen stand das Duo diesmal den Referees allerdings aus fachlicher Sicht zur Seite.

Drees sprach als Projektleiter für die Video-Referees von einem «positiven Wochenende». Fröhlich, Sportlicher Leiter der Elite-Schiedsrichter, konnte den Vorwurf einer «wirren» Regelauslegung «nicht nachvollziehen». Er versprach, auch künftig offen mit möglichen Fehlern umzugehen.

Was sind die Vorschläge der Bundesliga-Trainer?

Einvernehmlich plädieren die Bundesliga-Coaches für eine einheitliche Auslegung der Handregel. Über den Weg dorthin gibt es allerdings unterschiedliche Auffassungen. Die klare Regel: Hand ist immer Hand, nannte Bayer Leverkusens Peter Bosz in der «Sport Bild» als Option, Wolfsburgs Bruno Labbadia lehnte dies ab und will Elfmeterpfiffe wie Friedhelm Funkel von Fortuna Düsseldorf nur bei einer Bewegung der Hand zum Ball.

Julian Nagelsmann von 1899 Hoffenheim forderte eine Entschlackung der Regel und ein Eingreifen der Referees nur bei klar absichtlichen Handspielen – zum Beispiel, wenn ein Feldspieler für seinen Torwart per Hand den Ball abwehrt. Einig sind sich die meisten Trainer, dass die üblich gewordenen Schutzhaltung der Verteidiger mit Händen und Armen auf dem Rücken eine schlechte Entwicklung ist. «Das ist ja nicht natürlich», sagte Kovac.

Gibt es Aussicht auf eine Verbesserung des Regelwerks?

Das International Football Association Board (IFAB) als einzig zuständige Instanz hat sich bei seiner Sitzung Anfang März auf Präzisierungen der Handspielregel verständigt. Das Problem: Die bislang bekannten Ausführungen, die am 1. Juni in Kraft treten werden, sind so schwammig wie die bestehenden Regeln. Was genau präzisiert werden soll, ist zudem weiter unklar. Dem Vernehmen nach werden die bislang drei Interpretationskriterien lediglich modifiziert und ergänzt.

Fix ist nur, dass ein Tor künftig nicht mehr gilt, wenn zuvor ein angreifender Spieler Hand gespielt hat – unabhängig jeder Absicht oder Körperhaltung. «Wir werden auf dieser Basis den Dialog mit den Klubs über Workshops weiter nutzen, um die Regelauslegung weiterzuentwickeln», versprach Fröhlich. Nach einem Ende aller Debatten klingt das nicht.


(dpa)

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