Pyeongchang (dpa) – Auf dem Weg vom Paralympischen Dorf in die Curling-Halle setzt Wolf Meißner immer seine Kopfhörer auf und gibt sich die volle Dröhnung. Am liebsten hört er Slayer. Eine Heavy-Metal-Band. Genauer gesagt Thrash Metal.
«Das muss ich dann immer auf dem MP3-Player hören», sagt der 48-Jährige. Für seine Curling-Teamkollegen ist das keine Musik, sondern einfach nur Lärm. «Das sind halt alles Softies», sagt Meißner und lacht.
Seit er ein Teenager war, trägt Meißner den Spitznamen «Headbanger». Weil er «bis auf ein bisschen Techno-Bum-Bum und Dicke-Backen-Musik» (Blasmusik, d. Red.) nur Metal hört. Und dabei den Kopf nicht ruhig halten kann. «Früher war ich in einer echten Rocker-Gang», sagt der Hesse mit dem langen Bart: «Nix Kriminelles natürlich. Einfach zwölf Jungs, die gerne Motorrad gefahren sind. Aber so richtig mit Kutte und Gang-Emblem. Wir nannten uns Dark Eyes.»
Weil Meißner so ein harter Kerl ist, überrascht die Wahl seines Sports doch sehr. Ausgerechnet Curling spielt er, das Strategie-Spiel unter den Wintersportarten. «Curling ist wie Schach auf Eis», sagt Meißner: «Das fasziniert mich. Vielleicht sind Metal und Curling einfach mein Yin und Yang.» Und er ist durchaus erfolgreich. Mit der Nationalmannschaft schaffte er die erst zweite Paralympics-Qualifikation der Verbandsgeschichte.
Freilich wandte sich Meißner erst dem Curlen zu, seit er im Rollstuhl sitzt. Über seinen Motorrad-Unfall in Südhessen spricht er heute scheinbar ohne große Emotionen. «Es war am 5. Juni 1994 in Kleestadt», berichtet er: «Ich bin über einen geteerten Feldweg gefahren. Es hat geregnet, ich bin weggerutscht und einen Abhang runtergerutscht. Ein Kumpel hat mich gefunden und Hilfe gerufen.»
Meißner hatte nichts getrunken, «und zu schnell war ich ganz sicher auch nicht». Es war einfach großes Pech. «Obwohl, ob es Pech war, weiß ich gar nicht so genau», sagt der Rehatechniker überraschend: «Ich möchte all das, was ich mit dem Rollstuhl erlebt habe, nicht missen. Ich bin rundum glücklich.»
Dass dies so ist, hat er vor allem Yvonne zu verdanken, seiner Ehefrau. «Ich habe sie sechs Monate vor dem Unfall kennengelernt. Und wir sind heute noch zusammen», erzählt er und seine dunklen Augen funkeln: «Das ist alles andere als selbstverständlich. 95 Prozent der Paare trennen sich, wenn jemand plötzlich im Rollstuhl sitzt. Egal, wie lange sie vorher zusammen sind. Ich kenne viele Rollstuhl-Fahrer und gerade mal zwei sind mit dem Partner von vor dem Unfall zusammen. Aber wir lieben uns halt einfach.»
Yvonne war es auch, die ihn animierte, trotz der Behinderung weiter Motorrad zu fahren. «Sie hat mich aus dem Krankenhaus abgeholt. Und als uns der erste Motorrad-Fahrer überholt hat, sind mir sofort die Tränen in die Augen geschossen», erzählt Meißner: «Da hat sie mich ermutigt, mir ein Trike zu kaufen.»
1998 tat er das. Er liebt das Fahren mit dem 185 PS starken Dreirad. «Einmal im Jahr treffen wir uns im Kaunertal und fahren Pässe ab», erzählt er: «Und mehrmals im Jahr fahre ich auf Metal-Festivals. Am coolsten ist das Aaargh Festival im Allgäu. Direkt neben einer Kuh-Wiese. Da geht so die Post ab, da wird die Milch sauer.»
Rocker sein ist eben eine Herzens-Angelegenheit. Das bleibt man immer. Manch einer sogar im Rollstuhl.
(dpa)