Lille (dpa) – Über Marc Wilmots brach die Kritik herein wie kurz zuvor die leidenschaftlichen Waliser über die torkelnde Abwehr von Belgien. Unmittelbar nach dem 1:3 (1:1) im Viertelfinale der Fußball-EM gegen Neuling Wales musste der Trainer die erste Frage nach seinem Rücktritt beantworten.
«Ich werde meine Entscheidung nach der EM treffen, nicht jetzt direkt nach dem Spiel. Dafür fließt jetzt noch zu viel Adrenalin», sagte der tief enttäuschte und sichtlich angeschlagene Schalker Ex-Profi.
Dass die Spieler sich nach diesem bitteren Abend vor Wilmots stellten, das konnte man wahrlich nicht behaupten. Wie schon nach der 0:2-Auftaktniederlage gegen Italien («Taktisch deklassiert») schwang sich Thibaut Courtois zum Wortführer der Aufständischen auf. «Wir hatten die gleiche taktische Aufstellung wie gegen Italien – und wieder hat es nicht funktioniert», wetterte der Torhüter vom FC Chelsea. Ob Wilmots geht? «Das müssen Sie ihn selbst fragen», meinte er und klagte: «So eine Chance bekommen wir nie wieder.»
Das Team der Hochbegabten um Kapitän Eden Hazard, der Geheimfavorit, der nach der Vorrunde längst viel mehr war, die glanz- aber titellose Generation, sie muss nach Hause fahren. Keine 20 Kilometer sind es von Lille zur belgischen Grenze, über die rund 150 000 Fans am Spieltag in die nordfranzösische Stadt geströmt waren. Kapitän Ashley Williams (30.), Hal Robson-Kanu (55.) und Sam Vokes (86.) machten vor 45 936 Zuschauern im Stade Pierre Mauroy mit ihren Treffern die Überraschung perfekt und beendeten die Party der Belgier abrupt.
Radja Nainggolan (13.) hatte die zunächst ungemein starken Belgier in Führung gebracht. Dann aber brach die personell geschwächte Defensive der «Roten Teufel» zusammen. «Wir haben nicht unser bestes Turnier gespielt. Das ist die Wahrheit», sagte der frühere Wolfsburger und Bremer Kevin De Bruyne. Ob es mit Wilmots überhaupt weitergehen könne? «Schwierig zu sagen im Moment. Das muss er selbst wissen.»
In der Heimat ist der Stab über Wilmots bereits gebrochen. «Die EM ist für die Teufel ein Reinfall: Wilmots muss gehen!», schrieb «La Dernière Heure». Der 47 Jahre alte Chefcoach hatte sich schon während des ganzen Turniers immer wieder mit Medienvertretern beharkt. Nur nach dem glanzvollen 4:0 gegen Ungarn im Achtelfinale war es im Umfeld des EM-Zweiten von 1980 für ein paar Tage ruhig.
Die Tageszeitung «La Libre» titelte: «Das Abenteuer der Teufel findet gegen die Waliser ein Ende. Ist das Schicksal von Wilmots besiegelt?» «Sudinfo.be» sprach von einer «Lektion in Effizienz». «Het Laatste Nieuws» schrieb: «Was für ein Abgang! Wales lässt den belgischen Traum platzen. Adieu, Wilmots?»
«Stand heute will ich nicht zurücktreten. Aber es ist auf jeden Fall alles möglich», sagte Wilmots noch. Sein Vertrag läuft bis 2018. Der 70-malige Nationalspieler war auch bei der WM 2014 in Brasilien mit seiner damals schon hochgewetteten Mannschaft im Viertelfinale beim 0:1 gegen Argentinien gescheitert. «Wir müssen uns als Mannschaft weiterentwickeln bis zur WM 2018 in Russland», sagte De Bruyne.
«Ich bin kein Magier. Du kannst Erfahrung nicht ersetzen», sagte Wilmots und verwies auf die Ausfälle in der Abwehr. «Ich kann den jungen Spielern keinen Vorwurf machen. Wir haben Fehler gemacht, die wir nicht hätten machen müssen.»
Verständnis zeigte Wilmots sogar für seinen Chefkritiker Courtois. «Ich kann ihn verstehen, wenn er das kurz nach dem Spiel sagt. Ich bin aber jemand, der nach dem Spiel erst einmal die Temperatur sinken lässt», sagte er. «Ich werde die Sache sicher später mit ihm besprechen können.»
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(dpa)